Kreditversicherung 28.09.2009, 16:23 Uhr

Rettungsring vom Staat

Da Kreditversicherungen immer restriktiver entscheiden, muss die Distribution verstärkt auf eigene Rechnung die
Risiken absichern. Jetzt übernimmt der Staat einen Teil des Forderungsausfallrisikos.
von Wolfgang Kühn
Lieferanten wie beispielsweise Distributoren müssen ihre Forderungen gegenüber den Händlern versichern – sonst gehen sie leer aus, wenn der Händler nicht zahlen kann oder will. In guten Zeiten hielten sich die Ausfälle im Rahmen. „Faule Kunden hatten wir schon immer. Da konnte man nur Schadensbegrenzung erreichen, indem wir bei unsicheren Kantonisten auf Vorkasse bestanden oder auf das Geschäft verzichteten“, sagt ein altgedienter Großhändler, der heute „mit knallhartem Forderungsmanagement jeden Cent eintreibt“. Freude bereite ihm das „wahrlich nicht, aber was soll ich tun, meine Lieferanten erwarten auch pünktliche Zahlung“.
Da ist es gut, möchte man meinen, dass es Assekuranzen gibt. Seit mehr als 90 Jahren – 1917 von Hermes eingeführt – existiert die Bündelung von Warenkreditversicherung, Kautionsversicherung und Vertrauensschadenversicherung. Mittlerweile bieten nahezu alle großen Versicherungsunternehmen Kreditversicherungen an. Im ITK-Handel sind dies beispielsweise Atradius (früher Gerling), Coface Deutschland (gehört zur französischen Investmentbank Natixis) und Euler Hermes (eine Allianz-Tochter). Sie übernehmen gegen Prämienzahlung das Ausfallrisiko, wenn nach Lieferung und Zahlungsziel die Ware nicht bezahlt wird. Je nach Vereinbarung zu hundert Prozent oder weniger. Generell gilt aber: Die Kreditversicherer prüfen vorher die Zahlen und das Zahlungsverhalten des Händlers sehr genau.

Kreditversicherung: Rettungsring vom Staat

Immerhin beträgt das Deckungsvolumen der Delkredereversicherungen allein in diesem Jahr bis Ende August bereits mehr als 260 Millionen Euro. „Etwa 40.000 Versicherungsverträge sind bis Ende Juli abgeschlossen worden“, erklärt Matthias Müller, stellvertretender Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin. Im vergangenen Jahr lag das Volumen bei insgesamt 268 Millionen Euro. Trotzdem bleiben sehr viele Lieferungen unterversichert, nicht wenige ganz ohne Absicherung.
Hilfe aus der Staatskasse
Zu Monatsbeginn hatte vor diesem Hintergrund der Lenkungsausschuss Unternehmensfinanzierung im Bundeswirtschaftsministerium ein sogenanntes Aufstockungsmodell beschlossen. Das heißt, der Staat übernimmt künftig einen Teil des Forderungsausfallrisikos, den private Kreditversicherungen „krisenbedingt nicht mehr absichern“. Die Mittel von immerhin 7,5 Milliarden Euro kommen aus dem Wirtschaftsfonds Deutschland. In der Praxis würde dies bedeuten, dass die staatliche Zusatzdeckung maximal so hoch sein wird wie der Versicherungsschutz des Kreditversicherers.
Werden also nur 50 Prozent abgedeckt, kann der Staat weitere 50 Prozent ergänzen. Dabei soll ein „einfacher Zugang für die Antragsteller gewährleistet“ sein, wie das Wirtschaftsministerium mitteilt. Und GDV-Präsident Jörg von Fürstenwerth legt Wert auf die Feststellung, „dass es sich bei den geplanten Maßnahmen nicht um Staatshilfe für die privaten Kreditversicherer handelt, denn sie haben keine Solvabilitäts- und Liquiditätsprobleme“. Vielmehr handele es sich um Hilfen für die Kunden der privaten Kreditversicherer.
Zuvor muss allerdings noch der Haushaltsausschuss des Bundestages über das als „Top-Up“ bezeichnete Konzept beraten. Start soll dann Oktober oder November dieses Jahres sein. Und: Die Prämien werden wohl, wie Telecom Handel erfahren hat, über dem Satz der privaten Kreditversicherer liegen. Von 2,8 bis 2,9 Prozent wird gesprochen, allerdings halten sich die Kreditversicherer bei konkreten Zahlen sehr bedeckt. Neben dem Top-Up-Konzept ist außerdem für einen späteren Zeitpunkt eine erweiterte Lösung unter dem Begriff „Ground-Up“ im Gespräch. Dabei würde der Staat auch bei einer Ablehnung durch die Kreditversicherer ins Risiko einsteigen – dies würde vor allem den Händlern helfen, die von Euler Hermes & Co. abgelehnt wurden. Doch das kann noch dauern.
Die Kreditversicherer zeigen sich naturgemäß erfreut über die in Aussicht gestellte Staatshilfe: Sowohl Euler Hermes wie auch Atradius hoben vor allem die zusätzliche Deckungssicherheit hervor. Zudem erkennen die privaten Versicherer darin eine Chance, dass zusätzliches Geschäft zwischen Lieferanten und Handel generiert werde.

Kreditversicherung: Rettungsring vom Staat

Dies hofft auch Stefan Koch, Controller bei Michael Telecom in Bohmte: „Generell ist eine Verbesserung des Versicherungsschutzes für die Distribution ein adäquates Instrument, um die konjunkturelle Entwicklung anzukurbeln.“ Allerdings betont Koch, dass trotz des Aufstockungsmodells „die Distribution unverändert mit Selbstbeteiligungen und erhöhten Prämien bei Ausfällen haften muss“. Ähnlich argumentiert auch Dieter Philippi, Vorstand der Herweck AG in Kirkel. Er beklagt zudem, die Zusammenarbeit mit den Kreditversicherern sei „schwieriger geworden“ (siehe Interview).
Skepsis bei den Distributoren
Mit einem gehörigen Maß an Skepsis äußert sich wiederum Reinhold Ittermann, Director Credit & Collection und zuständig für Ingram Micro Financial Services. Ob parallel zu dem Aufstockungsmodell die privaten Versicherer mehr Entgegenkommen zeigen werden, hängt für ihn vor allem davon ab, „ob die Kreditversicherer das Instrument auch zum Vorteil der Versicherungsnehmer und damit der mittelständischen Wirtschaft nutzen werden“. Auf jeden Fall sei eine solche Absicherung sinnvoll, „sofern die dahinter stehende Abwicklung einfach und transparent ist“.
Und zur Notwendigkeit der Kreditversicherung sagt Michael-Telecom-Controller Koch: „Gerade in der Distribution sind Kreditversicherungen ein wichtiges Mittel, um Ausfallrisiken berechenbar zu machen, und somit ein wichtiger Teil der Kalkulation.“ So oder so, der Handel kommt an den Kreditversicherern kaum vorbei – und hofft nun auf eine Besserung der Situation.
Klartext: Die Meinung des Redakteurs
Nur wenige Wochen vor der Wahl werden gerne eilige Konzepte unters Volk gebracht. Aus dem Kanzleramt kam diesmal die klare Ansage: „Top-Up“ muss vor dem 27. September auf die Bahn gebracht werden. Aber was bringt es den Lieferanten? Zuerst mal höhere Prämien, wenn sie den staatlichen Zuschlag für eine Aufstockung der Kreditversicherung benötigen, weil die privaten Versicherer nicht ins volle Risiko gehen wollen. Dafür aber auch die Sicherheit, im Zweifel Geld für die gelieferte Ware zu bekommen. Sicherlich werden Distribution und Handel durch die staatliche Ergänzung etwas mehr Luft haben. Aber muss denn der Bund jetzt nach Banken und Industriekonzernen auch noch in die Kreditversicherung einsteigen? An der Liquidität der Assekuranzen kann es jedenfalls nicht liegen.

Interview mit Dieter Philippi, Vorstand der Herweck AG

Dieter Philippi, Vorstand und Mitbegründer der Herweck AG in Kirkel, beobachtet die Entwicklung bei den Kreditversicherungen – auf die Lieferanten und Händler angewiesen sind – kritisch.
Telecom Handel: Arbeiten Sie mit Kreditversicherern zusammen?
Dieter Philippi: Natürlich, aber immer häufiger nehmen wir das Risiko für unsere Händler auf die eigene Kappe, weil der Kreditversicherer die Deckung zurückzieht. Derzeit dürfte unser Risikovolumen bei etwa 2,5 Millionen Euro liegen. Wir begleiten unsere Händler seit vielen Jahren, kennen ihre Zahlen und können so das Risiko oftmals besser einschätzen als der Versicherer. Aber gelegentlich müssen auch wir Ausfälle tragen. Im Jahr dürften das etwa 150.000 Euro sein.
Telecom Handel: Ziehen sich die Kreditversicherer immer mehr aus dem Geschäft zurück, wie ist Ihre Erfahrung?
Philippi: Wir stellen fest, dass in großem Umfang Deckungszusagen zurückgefahren werden. Die Risiken werden strenger kontrolliert. Das macht die Zusammenarbeit schwieriger. Auf der Strecke bleiben die Händler.
Telecom Handel: Aber resultiert das restriktivere Verhalten nicht auch zu einem Teil aus der konjunkturell bedingten Schwäche des Handels?
Philippi: Sicherlich auch. Dabei ist die Situation im TK-Handel nicht so schlecht. Auch die Prognosen für 2009 lassen hoffen. Und wer seine Arbeit ordentlich macht, dürfte auch keine Probleme haben.
Telecom Handel: Aber die Kreditversicherer mauern trotzdem ...
Philippi: Wenn ich feststellen muss, dass allenfalls zehn Prozent der Händler intensiven Kontakt zu ihren Kreditversicherern halten, dann wundert mich nichts. Die Assekuranzen brauchen aktuelle Informationen und Zahlen über den Geschäftsverlauf der Händler. Wie sollen sie sonst entscheiden können? Ob dann die geplante staatliche Ergänzung zu den Kreditversicherungen sehr hilfreich ist, wird sich erst in der Praxis beweisen müssen.