09.03.2010, 11:19 Uhr

"Dieser Weg ist unumkehrbar"

Interview mit Deutschlandchef Stefan Herrlich: Siemens Enterprise Communications (SEN) setzt verstärkt auf den indirekten Vertrieb. Das Neukundengeschäft im Mittelstand soll sukzessive komplett an den Channel übergeben werden.
Kulturwandel bei Siemens Enterprise Communications (SEN): Der ITK-Hersteller möchte seine Partner künftig stärker in die Vermarktung seiner Lösungen einbeziehen; bislang setzten die Münchner vor allem auf den eigenen Vertrieb. Der Strategiewechsel soll in allen Kundensegmenten umgesetzt werden: bei den globalen und nationalen Großkunden, aber auch im Bereich des Small und Medium Business (SMB).
Das Mittelstandssegment möchte SEN mittelfristig komplett an die Distributoren und deren Fachhandelspartner übergeben. Im Gespräch mit Telecom Handel berichtet Stefan Herrlich, Geschäftsführer Deutschland und Leiter Vertrieb EMEA bei SEN, über die Herausforderungen bei der Umsetzung dieser neuen Unternehmensphilosophie und gibt Einblicke in seine weiteren Pläne für das SMB-Segment.
Telecom Handel: Herr Herrlich, vielen Partnern – gerade im SMB-Segment – fällt es schwer, an die konsequente Umsetzung Ihrer neuen Channelstrategie zu glauben. Denn schon einmal hatte SEN versucht, das Mittelstandsgeschäft an den indirekten Vertrieb auszulagern, auch damals unter Ihrer Leitung …
Stefan Herrlich: Ja, wir hatten damals angekündigt, verschiedene Kundensegmente zukünftig mehrheitlich mit Partnern zu bearbeiten. Das Segment unter zehn Teilnehmern hatten wir in einem ersten Schritt dann auch erfolgreich komplett an die Distribution und den Fachhandel übertragen. Allerdings wurde dies dann wieder aus damals guten Gründen zurückgezogen. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler.
Telecom Handel: Und dieses Mal wird es keine Kehrtwende geben?
Herrlich: Der Weg, den wir jetzt eingeschlagen haben, ist unumkehrbar. Klar ist aber auch, dass wir um das Vertrauen der Partner erneut werben müssen. Das Feedback, welches ich in meinen Gesprächen mit den verschiedensten Partnern bekomme, ist jedoch mehr als ermutigend.
Telecom Handel: Was geschieht nun mit Ihrem Direktvertrieb, zum Beispiel den 135 Vertriebsbeauftragten im heutigen SMB-Segment?
Herrlich: Die Aufgabe unserer Mitarbeiter im direkten Vertrieb wird sich stärker auf die strategische Marktanteilsentwicklung in den zugewiesenen Kunden- und Marktsegmenten fokussieren. Sie sollen das Potenzial ihrer Kunden und Regionen erschließen und so die Marktanteile für SEN weiter ausbauen und dabei insbesondere die Möglichkeiten und Fähigkeiten unserer Partner nutzen. Jeder Direkt-vertriebsbeauftragte wird künftig stärker an der Marktausschöpfung seines Gebietes gemessen und weniger daran, wie viele Aufträge er persönlich akquiriert. Die VBs entwickeln sich so stärker hin zu ‚Direct Touch‘-Mitarbeitern.
Telecom Handel: Ziehen Sie die VBs denn sofort aus der Direktvermarktung zurück?
Herrlich: Wir können auch hier nicht einfach den Schalter umlegen, wir haben ja auch einen großen Kundenpark mit den entsprechenden Miet- und Wartungsbeständen. Allein in diesem Segment sprechen wir von ungefähr 80.000 Miet- und Wartungsverträgen, die in der Regel eine Laufzeit von noch bis zu fünf Jahren haben. Wichtig dabei ist, dass es uns nicht darum geht, einfach unsere bestehenden Kundenbestände auf Partner zu übertragen, sondern perspektivisch mit Partnern weiteres und neues Geschäft für SEN zu generieren. Entsprechend werden wir die Partner unterstützend begleiten.

"Dieser Weg ist unumkehrbar"

Telecom Handel: Was geschieht mit diesen Bestandskunden, werden sie an den Channel übergeben?
Herrlich: Nein. Aber wir binden unsere Partner schon jetzt stärker ein. Beispielsweise in das Servicegeschäft: Heute geben wir ein Volumen von ungefähr 30 Millionen Euro an Serviceaufträgen weiter und schaffen damit ungefähr 1.000 Arbeitsplätze bei unseren Partnern. Diese Aktivitäten werden wir sicher ausbauen und ein noch umfangreicheres Serviceportfolio auch zur Vermarktung über Partner bereitstellen.
Telecom Handel: So werden die Partner zu Subunternehmern der SEN?
Herrlich: Zum Teil könnte man das so nennen. Allerdings sehen wir die überwiegende Mehrzahl nicht als einfache Auftragsausführende, sondern als echte Partner, mit denen wir die jeweiligen Markt- und Kundensegmente gemeinsam bearbeiten.
Telecom Handel: Und wenn der Mietvertrag beim Kunden ausläuft?
Herrlich: Dann gibt es mehrere Möglichkeiten – je nachdem, was der Kunde möchte und für ihn am sinnvollsten ist. Er kann weiter direkt betreut werden oder wir können unseren Partner und den Kunden direkt zusammenführen. Der Partner, der vielleicht bislang den Service geleistet hatte, hat damit beste Chancen, einen neuen Vertrag oder eine Verlängerung abzuschließen, von der alle Seiten profitieren.
Telecom Handel: Die neue Channelstrategie ist letztlich der größte Umbruch in der SEN-Firmengeschichte. Wie machen Sie Ihren Mitarbeitern diesen Kulturwandel schmackhaft?
Herrlich: Das ist in der Tat die große Herausforderung. Eine Veränderung dieser Tragweite kann man nicht durchsetzen, indem man einfach ein Rundschreiben rausschickt. Das Festhalten am Gewohnten ist ein zutiefst menschlicher Charakterzug – das schließt mich übrigens mit ein –, es ist aber auch eine große Gefahr.
Telecom Handel: Und wie wollen Sie ausschließen, dass Ihre Mitarbeiter die neue Strategie boykottieren?
Herrlich: Intern haben wir ein sogenanntes Transformationsoffice mit einem Kernteam von sieben Mitarbeitern eingerichtet, die teilweise direkt aus den involvierten Bereichen kommen. Dieses Team soll die Umsetzung der Veränderungsprozesse im Unternehmen sicherstellen und kontrolliert engmaschig, wo die neuen Strukturen Früchte tragen und wo nicht. Außerdem arbeiten wir natürlich auch mit externen Profis zusammen, die den gesamten Prozess begleiten.

"Dieser Weg ist unumkehrbar"

Telecom Handel: Schreibt Ihr Außendienst eigentlich jetzt noch eigene Aufträge – wenn auch zu einem geringeren Anteil?
Herrlich: Wenn wir in einem Gebiet keine geeigneten Partner haben, schreibt der VB noch weiter Aufträge. Er wird sich aber gleichzeitig mit dem Partnermanagement auf die Suche nach passenden Partnern machen. Es gibt aber auch viele Vertriebsbezirke, die im Moment von uns nicht bedient werden. Dort wollen wir zukünftig nur noch indirekt vertreten sein und versuchen, ausschließlich über Partner das SMB-Segment zu adressieren. In den anderen Gebieten wollen wir so schnell wie möglich die richtige Anzahl und Qualität der Partner finden, die die Akquise dann übernehmen können.
Telecom Handel: Ziel ist, dass die Neukundenakquisition im SMB-Markt zu 100 Prozent von Partnern übernommen wird?
Herrlich: Heute haben wir, Siemens Enterprise Communications, einen Marktanteil von circa 15 Prozent im SMB-Segment. Den wollen wir mit hohem Druck und unter ausschließlichem Einsatz von Partnern weiter ausbauen.
Telecom Handel: Der SMB-Markt soll gemeinsam mit den Distributoren adressiert werden. Sie arbeiten in Deutschland mit Partners in Europe, Komsa, NT plus und Westcon zusammen. Letztere traten bislang eher als Avaya-Distributor in Erscheinung …
Herrlich: Die Zusammenarbeit mit Westcon ist ja relativ neu. Der Vertrag wurde erst im Dezember unterzeichnet. Westcon hat sich vor dem Hintergrund der Nortel-Übernahme durch Avaya entschlossen, die Zahl seiner Hersteller zu erweitern.
Telecom Handel: Planen Sie weitere Veränderungen bei den Distributoren?
Herrlich: Ich denke nicht, wir haben in der Vergangenheit ja bereits mit deutlich mehr Distributoren zusammengearbeitet und uns dann auf nur wenige konzentriert. Ich bin ein Freund einer klaren Fokussierung. Ich arbeite lieber mit drei oder vier guten Partnern und stecke in diese meine Ressourcen, anstatt mit vielen Partnern nur wenig zu bewegen.

"Dieser Weg ist unumkehrbar"

Telecom Handel: Es kursierten auch Gerüchte, Siemens wolle das SMB-Geschäft verkaufen, beispielsweise an die Deutsche Telekom, mit der Sie als OEM-Partner ohnehin sehr eng verbunden sind.
Herrlich: Im Zuge der großen Ver-änderungen bei SEN in den letzten zwei Jahren stand auch das SMB-Geschäft zur Disposition. Wir haben dabei auch mit verschiedenen Parteien Gespräche geführt. Letztendlich waren aber keine Modelle dabei, die uns überzeugt haben. Schließlich sprechen wir von einem Geschäft, in dem 300 Mitarbeiter beschäftigt sind, die 150 Millionen Umsatz erzielen. Uns ging es letztendlich darum, diesen Wert zu erhalten und gleichzeitig mehr daraus zu machen, so dass sowohl SEN als auch unsere Partner davon profitieren.
Telecom Handel: Viele Partner klagten Ende vergangenen Jahres über Lieferengpässe bei SEN. Sind nun alle Produkte wieder lieferbar?
Herrlich: Wir sind im letzten Drittel oder Viertel der Krise unterwegs. Alle Lieferschwierigkeiten bei den Systemen sind mittlerweile behoben, Ende März werden wir auch keine Probleme bei der Belieferung der Endgeräte mehr haben.
Telecom Handel: Der Channel hat unterdessen erfreut festgestellt, dass die wenigen lieferbaren Produkte auf Partner und den Direktvertrieb gleichermaßen verteilt wurden.
Herrlich: Wir haben die Partner sogar bevorzugt beliefert. Der Grund hierfür ist, dass wir bei unseren Kunden deutlich mehr Möglichkeiten und auch andere Mittel haben, Lieferengpässe auszugleichen, beispielsweise indem wir die Miete erlassen oder bei Umzügen erst noch einmal das vorhandene Equipment weiter einsetzen. Partner haben diese Möglichkeit nicht. Deshalb hatten und haben sie erste Priorität – und haben davon auch reichlich Gebrauch gemacht.




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