Marktreport Service Provider 11.08.2009, 15:09 Uhr

Der Wal im Haifischbecken

Der Serviceanbieter-Markt hat sich konsolidiert – Über 80 Prozent des klassischen Provider-Geschäfts entfallen auf den Mega-Provider
Freenet mit seiner Marke Mobilcom-Debitel – The Phone House ab Mitte 2010 nur noch „Handelshaus“
Noch vor einem Jahr wäre der Deal undenkbar gewesen: Im Rahmen einer langfristig angelegten Vereinbarung zwischen 1&1 und Freenet sollen die DSL-Produkte des Internetanbieters aus Montabaur künftig „präferiert“ in den Mobilcom-Debitel-Shops des Büdelsdorfer Service Providers vermarktet werden. Satte 500.000 neue Breitband-Kunden wolle Freenet so in den nächsten fünf Jahren akquirieren, kündigte der 1&1-Vorstandssprecher Robert Hoffmann dieser Tage an – und sparte dabei nicht mit Lob für den neuen Geschäftspartner.
Mancher Marktbeobachter mag sich angesichts der Mitteilung verwundert die Augen gerieben haben, waren sich die beiden neuen Freunde doch bis vor kurzem trotz der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Verknüpfung – der 1&1-Mutter United Internet gehören Anteile an Freenet – alles andere als grün. Der auch in der Öffentlichkeit massiv ausgetragene Disput zwischen United-Internet-Vorstand Ralph Dommermuth und dem (Ex-)Freenet-Chef Eckhard Spoerr, der in der Hauptversammlung 2008 sogar im Machtkampf um die Besetzung des Chefsessels bei Freenet gipfelte, machte eine konstruktive Zusammenarbeit schlicht unmöglich.
Seinerzeit schien Spoerr alle Trümpfe in der Hand zu halten: Selbst nachdem sein ursprünglicher Plan, aus Freenet und Mobilcom einen TK-Vollsortimenter zu formen, am Widerstand der Aktionäre scheiterte, sicherte er sich mit einem kompletten Kurswechsel dennoch die Macht im Unternehmen. Mit dem überraschenden Kauf der um einiges größeren Debitel-Gruppe und der kurz darauf erfolgten Trennung von deren Chef Oliver Steil zeigte Spoerr den übrigen Playern im Markt, wo es lang geht.
Doch ewig währte sein Glück nicht: Nachdem neben dem United-Internet-Chef Ralph Dommermuth auch der Finanzinvestor Permira deutlich seinen Unmut über die Firmenpolitik Spoerrs zum Ausdruck gebracht und sogar offen dessen Ablösung gefordert hatte, musste dieser im Januar 2009 seinen Hut als Vorstandsvorsitzender nehmen. Als Grund hierfür sagte Spoerr damals, das Unternehmen brauche „in der jetzigen Situation der Integration vorrangig Ruhe und Konzentration auf die Integrationsmaßnahmen und das operative Geschäft“. Eine Rolle könnte aber auch der Vorwurf des Insiderhandels gespielt haben, für den sich Spoerr vor Gericht verantworten musste. Später wurde der Manager zur Zahlung einer hohen Geldsumme verurteilt.
In ruhigere Fahrwasser gelangte Freenet erst wieder, nachdem mit Christoph Vilanek Anfang Mai dieses Jahres ein Nachfolger für Spoerr gefunden wurde. Der Österreicher, der zuvor als Leiter des Kundenmanagements bei Debitel eher in der zweiten Reihe gearbeitet hatte, war ein echter Überraschungskandidat. Doch ihm gelang innerhalb weniger Wochen, den schon lange zum Verkauf stehenden Freenet-DSL-Kundenbestand tatsächlich an 1&1 zu veräußern – wenn auch zu einem deutlich niedrigeren Preis, als ihn Spoerr gerne erzielt hätte. Offenbar stand dem Geschäft nichts wirklich Gewichtiges mehr im Weg, nachdem zwischen den beteiligten Personen keine weiteren Animositäten mehr bestanden.
Tabelle zum Download: Kenndaten Mobilfunk-Service-Provider

Der Wal im Haifischbecken (Teil 2)

Letztlich war das Thema DSL für Vilanek jedoch nicht mehr als ein lästiges Altproblem, das es endlich zu lösen galt. Die volle Konzentration gilt seitdem dem Umbau des aus Debitel und Freenet entstandenen Konzerns zu einem ertragreichen und schlagkräftigen Mobilfunk-Anbieter – immerhin macht das Unternehmen nun über 80 Prozent des klassischen Service-Provider-Geschäfts in Deutschland und soll im rauen Mobilfunkmarkt nicht wie ein behäbiger Wal im Haifischbecken vor sich hin dümpeln. So sind der Personalabbau im Unternehmen und die Konzentration auf wenige Standorte in vollem Gange. Allein an den Betriebsstätten der übernommenen Wettbewerber, Stuttgart (Debitel) und Elmshorn (Talkline), wurden bereits mehrere hundert Stellen gestrichen. Mittlerweile arbeiten nur mehr 6.843 Mitarbeiter im Konzern, während es ein Jahr zuvor noch 7.700 Beschäftige waren.
Freenet: Re-Branding der Shops ist abgeschlossen
Abgeschlossen ist mittlerweile das Re-Branding der ungefähr tausend Shops des Providers auf den Namen „Mobilcom-Debitel“. „Mit der Einführung der Service-Provider-Marke Mobilcom-Debitel im April dieses Jahres, die die bisherigen Marken Mobilcom, Debitel und Dug ersetzt, untermauern wir unsere starke Positionierung im Markt“, begründet Vilanek die neue Ausrichtung. 202 Shops werden derzeit als Partnerfiliale betrieben, weitere Partnershops sollen bis Jahresende eröffnen. Nach Abschluss des Shop-Umbaus soll das bestehende Franchisemodell überarbeitet und mit Zusatzleistungen für die Partner attraktiver gemacht werden. „Außerdem werden wir uns im Retail-Bereich ganz stark auf das Thema Absatz- und Qualitätssteigerung und den Vermarktungsstart von 1&1-Produkten konzentrieren“, sagt Retail-Geschäftsführer Hubert Kluske. Neben Mobilcom-Debitel werden aber auch die Marken Talkline für den Direktvertrieb sowie Klarmobil und Callmobile für das No-Frills-Segment weitergeführt.
Auf eine Vielzahl von Marken setzt nicht nur Freenet, sondern auch die deutlich kleinere Drillisch AG: Neben den etablierten Service-Provider-Marken Telco, Victorvox und Alphatel ist der Anbieter mit Simply, Maxxim, McSIM und Fioon auch im Discount-Segment aktiv. „Unsere Strategie, einen Schwerpunkt im Discountmarkt mit einfachen und transparenten Tarifen zu setzen, ist aufgegangen und wird weiter ausgebaut“, kündigt Vertriebs- und Marketingvorstand Vlasios Choulidis an. Bestandteil sollen insbesondere auch sogenannte White-Label-Lösungen sein, wie sie beispielsweise mit Ja Mobil oder Penny Mobil angeboten werden. „Damit können wir für die verschiedensten Anbieter auf den Kunden zugeschnittene individuelle Mobilfunklösungen in deren eigenem Branding realisieren“, so Choulidis.
Einen deutlich höheren Stellenwert will Drillisch künftig dem Thema „Online“ einräumen. „Der Vertrieb, speziell im Discountbereich, verlagert sich in hohem Maß zunehmend auf das Internet. Wir tragen dieser Entwicklung mit einem eigens etablierten Online-Marketing-Competence-Center Rechnung. Daneben spielt für uns aber der Fachhandel auch weiterhin eine wichtige Rolle“, sagt Choulidis.
Tabelle zum Download: Kenndaten Mobilfunk-Service-Provider

Der Wal im Haifischbecken (Teil 3)

The Phone House: Abschied vom Service-Provider-Modell
Im Gegensatz zu Freenet und Drillisch wird sich The Phone House in diesem Jahr endgültig vom Modell des klassischen Service-Providers verabschieden. „In den letzten zwölf Monaten haben wir uns entscheidend weiter zum unabhängigen Handelshaus für Produkte der Wireless World entwickelt. Unser Ziel ist es, ab Mitte 2010 ausschließlich Original-Netzbetreiber-Tarife zu vermarkten“, so Vertriebschef Reinhard Krause gegenüber Telecom Handel. Wie sein Kollege Choulidis erkennt auch Krause eine Verlagerung der Vermarktung von Mobilfunk-Produkten ins Internet, die letztlich auch zu einem Konkurrenzkampf im stationären Handel führt. „Früher reichte es, einfach die Türe zum Laden aufzuschließen, und die Kunden kamen gelaufen. Heute bedarf es einer zielgruppengerechten Ansprache der Kunden mittels der passenden Produkte und eines dedizierten Bestandskunden-Managements, um erfolgreich zu arbeiten“, so Krause.
Im Vertrieb will The Phone House seine Drei-Säulen-Strategie mit der Vermarktung über die TPH-Shopkette, den Fachhandel und den Bereich Direct Sales weiterführen. Die eigenen Filialen sowie die Franchise-Shops unter der Marke The Phone House als „das Gesicht zum Kunden“ sollen dabei nach wie vor erste strategische Priorität genießen. Das Projekt, die bisherigen Exklusivpartnershops in Franchisepartner umzuwandeln, läuft weiter: Mittlerweile sind 30 Franchise-Shops eröffnet, weitere 20 Exklusivpartner befinden sich in der Migrationsphase. Bis Frühjahr 2010 will das Handelshaus etwa 80 Franchisenehmer zählen, langfristig sollen es sogar 300 Shops werden.
Ob The Phone House mit seiner Abkehr vom Provider-Business und der Wandlung zum Handelshaus den richtigen Weg beschreitet, wird sich abschließend wohl erst zu einem späteren Zeitpunkt feststellen lassen. Nicht wenige Analysten zweifeln schon lange an der Existenzberechtigung des bisherigen Provider-Modells; auch ob der „behäbige Wal“ Freenet irgendwann einmal wieder wie eine junge Forelle durch die Fluten schwimmen wird, stellt so mancher Marktbeobachter in Frage.

Wachstumsschwäche im Mobilfunkmarkt
Erschwerend wirkt sich für die Anbieter aus, dass derzeit der Mobilfunkmarkt insgesamt mit einer Wachstumsschwäche zu kämpfen hat. Sowohl bei den Carriern als auch bei den Providern verharren die Umsätze bestenfalls auf dem Niveau der letzten Jahre, bei einigen Anbietern geht es sogar deutlich abwärts. „Aufgrund der hohen Mobilfunkpenetration befindet sich der gesamte Markt in Deutschland und somit auch die Vermarktung von Tarifen und Endgeräten seit geraumer Zeit im Umbruch“, stellt The-Phone-House-Vertriebschef Reinhard Krause fest. Freenet-Vorstand Vilanek ergänzt: „Die sich verschärfende globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat ihr Übriges dazu beigetragen, dass die Herausforderungen im Geschäftsfeld Mobilfunk nicht geringer geworden sind. Die Sensibilität der Verbraucher für ihre Ausgaben nimmt zu, was marktübergreifend zu sinkenden Nutzungszeiten und Durchschnittserlösen führt.“
Tabelle zum Download: Kenndaten Mobilfunk-Service-Provider

Der Wal im Haifischbecken (Teil 4)

Einen Ausweg aus der bestehenden Situation erhoffen sich nicht nur die Netzbetreiber durch das Thema „Mobile Internet“. „Die Umsätze mit mobiler Datenübertragung nehmen stetig zu. Prognosen sehen in den nächsten drei Jahren eine Steigerung um 80 Prozent voraus“, sagt Drillisch-Vorstand Choulidis. Entsprechend mühen sich die TK-Anbieter, ihre Aktivitäten in diesem Segment auszubauen. So hat Drillisch bereits 2007 die ersten Vertriebskooperationen für die Vermarktung mobiler Daten-Flatrates geschlossen. „Inzwischen können wir Kunden den Zugang zum mobilen Internet sowohl über eigene Marken wie auch über Vertriebspartner wie Moobicent/MoobiAir, Surf.- pink/Surf.red, fastSIM oder Quickster/Funkster und RTL2mobil anbieten“, sagt Choulidis. Auch Freenet geht davon aus, dass der Mobile-Internet-Boom anhält. Nicht zuletzt deswegen hat der Provider sein mobiles Freenet-Portal kürzlich komplett überarbeitet.
Mobilfunk als kompletter Ersatz für das Festnetz
Je leistungsfähiger die mobilen Datenverbindungen werden, desto eher sind manche Kunden zur Freude der Mobilfunker auch geneigt, ihren traditionellen Festnetzanschluss komplett abzuschaffen. „Inzwischen verzichten rund zehn Prozent der deutschen Haushalte komplett auf das Festnetz und setzen ausschließlich auf die mobile Kommunikation. Und dies nicht nur bei der Sprachtelefonie, sondern auch beim bisher von DSL dominierten Internetzugang“, weiß Drillisch-Vertriebsvorstand Choulidis zu berichten.
Für die Provider bedeuten diese Tendenzen ein Stück Hoffnung. Optimisten wie Freenet-Chef Vilanek sehen sogar im anhaltenden Preisverfall etwas Gutes: „Sinkende Tarife im unverändert harten Wettbewerbsumfeld sorgen dafür, dass im Mobilfunk allgemein innovative, neue Produkte gefragt sind.“
Tabelle zum Download: Kenndaten Mobilfunk-Service-Provider



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