RoPo-Effekt 19.09.2013, 11:40 Uhr

Die Heimkehr der verlorenen Kunden

Immer mehr Kunden wenden der Verkaufsplattform Internet den Rücken zu und entdecken den stationären Fachhandel neu. Händler mit hoher Beratungskompetenz, viel Service und einer Portion Menschlichkeit profitieren von dem RoPo-Effekt (Research online, Purchase offline).
(Quelle: varijanta - Fotolia.com)
Es ist eine Szene aus dem Fachhändler-Himmel: Eine Kundin, Mitte 30, weder Marke „Sparfuchs" noch Typ „Luxusliebhaberin", kommt ins Kauferinger Ladengeschäft des freien TK-Fachhändlers Ulrich Steer, schaut sich ein bisschen um und verkündet dann, dass sie ein mittelgroßes Smartphone suche, ohne Vertrag. Das HTC One V hätte ihr im Internet gut gefallen, ob das denn was tauge? Ulrich Steer berät ein bisschen, schlägt alternative Geräte vor, aber eigentlich hat sich die Kundin schon entschieden.
Jetzt kommt der kritische Punkt des Verkaufsgesprächs: Der Preis – bei Steer kostet das Smartphone 190 Euro. Die Kundin zögert, Steer setzt sofort und proaktiv nach. „Im Internet bekommen Sie das sicher rund 20 Euro billiger." Die Kundin nickt – offensichtlich hat sie sich nicht nur Produktinformationen zum Wunschgerät angesehen, sondern auch Preisvergleichsdienste konsultiert. „Bei uns ist halt der erste Service mit drin, der Versand ist dann kostenlos", erklärt Steer. „Bei Smartphones passiert es öfter, dass mindestens eine Reparatur anfällt. Und wenn sonst was mit dem Gerät ist, sind wir natürlich auch für Sie da."
Die Kundin zögert nochmals – und grinst dann. „Na los, geben Sie schon her – dann hab’ ich wenigstens jemanden, den ich anschreien kann, falls was kaputtgeht. Das ist mir die 20 Euro wert. Ach, können Sie mir wohl demnächst auch mit dem Vertrag helfen? Ich will wechseln."
Ulrich Steer hat gerade eine „RoPo"-Kundin bedient, jene Spezies an Kundschaft, die dem stationären Fachhändler derzeit den Spaß am Beruf zurückgibt. RoPo (Research online, Purchase offline)-Kunden nut­zen das Internet für die Infor­mationsrecherche, suchen ihre Wunschprodukte aus, informieren sich über Geräte­eigenschaften, vergleichen Angebote und Preise – und suchen dann auf Google den nächstgelegenen stationären Fachhändler, um dort das Ausgesuchte zu kaufen.
Nach Jahren der Klagen über den Online-Handel, der auf Kosten des Stationär­geschäfts wächst und den Fachhandel mit Show­rooming und Beratungsklau kannibalisiert, klingt das fast zu schön, um wahr zu sein. Und dennoch: Der RoPo-Effekt ist mittlerweile in verschiedenen Handelsstudien für unterschiedlichste Branchen nachgewiesen worden.
Auch für den Telekommunikationsmarkt: So kam Vodafone in einer gemeinsamen Studie mit Google zu dem Ergebnis, dass 31 Prozent aller Mobilfunkverträge im Internet abgeschlossen würden; weitere 37 Prozent der Verträge schlossen Kunden im Stationärgeschäft ab, nachdem sie sich zunächst per Internet-Recherche über den neuen Vertrag schlau gemacht hatten.

Typfrage: Was ist ein RoPo-Kunde?

„Es gibt den RoPo-Effekt im Einzelhandel", bestätigt auch Stephan Knecht von der Einzelhandelsberatung Fleet 40. „In der ITK- und CE-Branche sind die Produkte aber oft zu wenig sexy und auch zu vergleichbar, als dass der Kunde das Einkaufserlebnis und den Beratungsmehrwert des stationären Handels ohne Weiteres anerkennen würde." Soll heißen: Der TK-Händler muss um den RoPo-Kunden härter kämpfen als ein Fachgeschäft für Maßhemden oder ein Laden für Designermöbel.
Doch auch beim Handy-Kauf gibt es Menschen, die das Einkaufserlebnis im Laden suchen. Warum? Typische RoPo-Kunden machen im Verkaufsgespräch oft den Eindruck, als bräuchten sie den Fachhändler eigentlich gar nicht. „Sie kommen viel informierter ins Geschäft als andere", meint Stefan Mues von der E-Commerce-Beratung Elaboratum. „Das ist eine Herausforderung für den Händler, denn er muss darauf achten, dass er von dem Kunden keine Fortbildung bekommt. Je größer sein Sortiment ist, desto schwieriger ist es aber, Experte für jedes Produkt im Laden zu sein."
Selbstredend müssen Händler versuchen, mit dem Wissensstand ihrer Kunden mitzuhalten, sei es durch die Lektüre von Fachzeitschriften, den Besuch von Messen oder auch den ständigen persönlichen Umgang mit den Geräten. Gerade damit können Fachhändler bei der Beratung punkten. Persönliche Erfahrungen wie „Am Wochenende hab’ ich mit dem Gerät zwei Filme gestreamt, danach war der Akku hinüber" oder „Meine Mobilfunkkunden können auf der Zugstrecke zwischen Landsberg und München durchgehend telefonieren – das klappt bei anderen nicht" können auch fleißige und geschickte Online-Kenner im Internet nur mit einer ausführlichen Recherche in Blogs, Foren und Produktbewertungen ausfindig machen.
Darüber hin­aus ist es aber wichtig, einen komplett informierten RoPo-Kunden, der bereits alles über die Laufzeit von Lithium-Akkus, Lichtstärke der Kamera und aufrüstbaren Speicherplatz weiß, auf die richtige, verkaufsfördernde Schiene zu lenken. „Es lohnt sich, im Verkaufsgespräch erst einmal den Wissensstand des Kunden abzufragen", rät Stephan Knecht. „Fragen Sie ihn, welche Info-Seiten er besucht hat, was er über das gesuchte Produkt schon weiß – und was er jetzt konkret noch wissen will." Eine gute Eröffnungsfrage für ein Gespräch mit einem RoPo-Kunden wäre beispielsweise: „Warum sind Sie heute zu mir gekommen?"

RoPo-Kunden muss man online fangen

Die Antwort fällt oft vielschichtig aus, hat Uwe Gillner, Inhaber des Augsburger TK-Ladens CCT Communikation, festgestellt. „Einige Kunden kehren dem Internet den Rücken und kommen stattdessen zu uns in den Laden, weil sie schlechte Erfahrungen beim Online-Kauf gemacht haben, zum Beispiel mit versteckten Kosten", erzählt der TK-Händler, der im letzten Jahr durchaus einen Anstieg an RoPo-Kundschaft in seinem Laden bemerkt hat. „Andere suchen nach einem Service-Fall einen persönlichen Ansprechpartner. Manche wollen beim Kauf auch einfach jemandem ins Gesicht schauen. Und wieder andere haben erkannt, dass uns die ewige ,Billig, billig, billig‘-Mentalität als Gesellschaft nicht weiterbringt."
Service, Persönlichkeit, Beratung, Vertrauen, Nachhaltigkeit, das sind die Argumente, die bei RoPo-Kunden wirken, meint auch Stefan Mues. „Den RoPo-Kunden interessieren drei Dinge am Stationärgeschäft", so der Berater. „Die sofortige Verfügbarkeit des gewünschten Produkts, mögliche Zugaben, Goodies oder Gutscheine, die er bei einem Stationärkauf erhält, und das Service-Angebot des Händlers, über das er Vertrauen beim Kunden weckt."
Fakt ist: RoPo-Kunden haben meistens­ einen guten Grund, um ins stationäre Geschäft zu gehen – und das ist nicht der günstigste Preis. Das sollten Fachhändler im Hinterkopf behalten, wenn es an die Abschlussfrage geht, denn dann fällt auch von RoPo-Kunden – die ja meistens bestens über die Preislage informiert sind – der böse Satz: „Im Internet gibt’s das aber billiger!" „Hier heißt es: Ruhe bewahren!", mahnt Stephan Knecht. „Schließlich ist der Kunde ja schon da. Wenn er online hätte kaufen wollen, hätte er das längst getan."
Statt im Preis gleich runter zu gehen, können es Händler mit einem zusätzlichen Goodie oder einem besonderen Service-Vertrag versuchen. „Auch das Argument ,Wir bilden hier regelmäßig junge Leute aus der Region aus und bezahlen unsere Mitarbeiter nach Tarif‘ wirkt bei manchen Kunden", so Knecht. Uwe Gillner von CCT Communikation setzt in solchen Situationen gern auf größtmögliche Gelassenheit: „Wenn einer sagt: ‚Das kauf’ ich dann im Internet‘, antworte ich: ‚Tun Sie das. Wir sehen uns dann beim ersten Service-Fall wieder. Unsere Service-Pauschale liegt übrigens bei 30 Euro.‘"
Den RoPo-Kunden gibt es also, und im Regelfall hat er gute Gründe, um den Fachhandel wertzuschätzen. Aber ist er deshalb der Traumkunde für den stationären Händler – der mit dem Internet an sich nicht viel am Hut hat? Nicht ganz, denn eines darf nicht vergessen werden: Der RoPo-Kunde startet seine Recherche im Internet; und er sucht dort nicht nur Produktinformationen und Feature-Vergleiche, er sucht auch im Netz nach einem geeigneten Fachhändler, der ihm das gesuchte Produkt verkaufen kann. „Deshalb muss jeder stationäre Händler im Netz vertreten sein", betont Knecht. „Nicht unbedingt mit einem Webshop, aber mit einer ordentlichen Internet-Seite mit Öffnungszeiten, dem Anfahrtsweg, dem Sortiment und ein paar Bildern aus dem Laden, die dem Geschäft ein Gesicht verleihen. Wer das nicht macht, ist in fünf Jahren weg vom Fenster – mit oder ohne RoPo-Effekt.




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