Insolvenz 21.08.2009, 09:15 Uhr

?Unbedingt selbst denken!?

Wenn die Geschäfte schlechter laufen, verfallen viele Händler in eine Art Schockstarre – Es gibt jedoch
Warnzeichen, und selbst eine Insolvenz muss noch nicht das Ende sein.
von Sabine Hildebrandt-Woeckell
Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres stellten laut Creditreform 16.650 Unternehmen einen Insolvenzantrag, 2008 gingen über 29.000 Betriebe pleite. Die meisten davon, weil sie Liquiditätsengpässe hatten. Mit anderen Worten: Nicht genug Geld auf dem Konto, um alle fälligen Rechnungen zahlen zu können. Innerhalb von drei Wochen – so fordert es das Gesetz – muss dann der Insolvenzantrag gestellt werden.
Auch im Handel geht mitunter die Angst um: „Ich muss mir schon genau überlegen, welche Rechnung ich wann zahle“, räumt Frank Schierer ein, der seinen Laden nahe der Bremer Innenstadt betreibt. Seinen echten Namen möchte er auf keinen Fall nennen. „Wer weiß, was passiert, wenn auch noch jemand mitkriegt, dass es bei mir nicht optimal läuft.“ Unwohlsein spüren, aber in Deckung gehen. Mit dieser Haltung steht Schierer nicht alleine. Gerade weil man weiß, wie Banken und Kunden auf mögliche Probleme reagieren, bedauert Monika Dürrer, Geschäftsführerin des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE), „halten viel zu viele Betroffene viel zu lange still“. Dabei sei das in einer Krise genau die falsche Reaktion, stellt sie klar. „Denn wer überleben will, muss die Karten so früh wie möglich auf den Tisch legen.“
Häufige Fehler in Unternehmen
Wenn Unternehmen in die Insolvenz laufen, haben sie meist zwei Fehler gemacht, erläutert auch Natascha Roschmann, Fachanwältin für Insolvenzrecht im bayerischen Memmingen: Erstens haben sie insgesamt dem eigenen Zahlenwerk zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Und zweitens alle Warnzeichen geflissentlich übersehen. Nicht selten werden offene Rechnungen einfach liegen gelassen. Viele, so die Expertin weiter, handelten gar erst dann, wenn Gläubiger erste Schritte einleiten, etwa Konten pfänden. „Wer jedoch nur noch reagieren und nicht mehr agieren kann, hat schon verloren.“

Insolvenz: ?Unbedingt selbst denken!?

Dabei klingen die Ratschläge, die Roschmann zur Insolvenzvermeidung gibt, geradezu banal: Auf den Kontostand achten, die Betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) lesen und regelmäßig einen Liquiditätsplan erstellen, also Ein- und Ausgaben der nächsten drei bis vier Monate auflisten. Dabei zeigt sich schnell, ob aktuelle Zahlungsschwierigkeiten nur einer speziellen Situation zuzuschreiben sind, beispielsweise einer besonders umfangreichen Bestellung oder eigenen offenen Rechnungen – oder ob die gesamte Kalkulation nicht stimmt.
Müssen immer mehr Zahlungen so lange hinausgeschoben werden, dass Skontos ungenutzt bleiben, sollten erste Alarmglocken läuten. Wird dann der Kreditrahmen immer weiter ausgeschöpft, trudeln gar regelmäßig Zahlungserinnerungen oder sogar Mahnbescheide ein, wird es allerhöchste Eisenbahn, noch einmal genau hinzusehen – und dann schnellstmöglich aktive Ursachenforschung zu betreiben: Ist vielleicht von vorneherein eine zu geringe Gewinnspanne kalkuliert? Sind Kosten entstanden, die bei Firmengründung noch gar nicht absehbar waren? Arbeitet man mit dem richtigen Netzbetreiber? Sind die Rückbelastungen von Provisionen und Hardware-Prämien unerwartet hoch? Dann müssen vielleicht neue Zielgruppen erschlossen werden.
Im Handel, weiß Roschmann, spielen der Kundenstamm und die Geschäftslage eine wichtige Rolle, vor allem überteuerte Mieten in Innenstadtlagen brechen vielen Händlern den Hals. Beide Faktoren lassen sich nur schwer verändern, was zeitnahes Handeln noch zwingender macht. Dennoch, so ihre Erfahrung, sei es beispielsweise nicht unmöglich, mit Vermietern vorübergehende Reduzierungen zu verhandeln.
So simpel die Tipps auch sind, eingehalten werden sie selbst in Großunternehmen oft nicht, weiß auch Hans-Joachim Kraatz, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in Dresden. Wenn Händler Schierer seine BWA vom Steuerberater erhält, räumt er unumwunden ein, dann wandere sie zumeist gleich ungelesen in den Ordner fürs Finanzamt. Wer jedoch glaubt, die BWA werde nur für Dritte erstellt, stellt Kraatz klar, muss sich nicht wundern, wenn’s irgendwann schiefgeht. Was viele Betroffene dabei verdrängen: Wer mit dem Stellen des Insolvenzantrages zu lange wartet, muss auch noch mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Außerdem kann er in die private Haftung genommen werden. Für nicht gezahlte Sozialbeiträge zum Beispiel haften Geschäftsführer in jedem Fall persönlich.

Insolvenz: ?Unbedingt selbst denken!?

Wichtig: Schnell reagieren
Doch welche Reaktionsmöglichkeiten gibt es überhaupt? „Gar nicht wenige“, betont Christoph Schotte, auf Insolvenzrecht spezialisierter Rechtsanwalt in München und Mitglied der internationalen Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz. Wobei immer im Einzelfall genau überprüft werden muss, ob sie sinnvoll sind. So sind beispielsweise beliebte Reaktionen zur Vermeidung von Zahlungsunfähigkeit, Ratenzahlungen zu vereinbaren, über einen höheren Kreditrahmen zu verhandeln oder das Geschäftsführergehalt zu reduzieren. Solche Maßnahmen sind aber nur dann zielführend, wenn es realistische Aussichten gibt, dass sich die Situation in absehbarer Zeit ändert. „Sonst verschlimmert sich damit alles nur.“ Besonders eine Verquickung von Privat- und Geschäftsvermögen, beispielsweise durch persönliche Bürgschaften für Kredite oder die Verpfändung der eigenen Altersvorsorge, sieht Schotte mehr als skeptisch. „Ein klarer Schnitt“, so seine deutliche Aussage, ist oft viel sinnvoller. Mit anderen Worten: der so negativ besetzte Insolvenzantrag. Denn was viele in ihrer Angst vor Gesichtsverlust oft übersehen: Eine Insolvenz muss heutzutage noch lange nicht das Ende sein. Im Gegenteil: Richtig und – man kann es gar nicht oft genug sagen – rechtzeitig vorbereitet, kann sie sogar zum gelungenen Neuanfang führen.
Bevor man sich jedoch zu einem solchen Schritt entscheidet, darin sind sich alle Experten einig, sollte externe Hilfe in Anspruch genommen werden. Viele Betroffene wenden sich zunächst an den eigenen Steuerberater. Das scheint naheliegend, ist jedoch leider oft falsch. Denn erstens hat der meist das primäre Ziel, seinen Mandanten zu behalten. Das Stichwort Insolvenz löst bei ihm dasselbe Unbehagen aus wie bei seinem Mandanten. Und zweitens fehlt ihm oft das Fachwissen.
Ansprechpartner der Wahl sollten daher auf Insolvenzrecht spezialisierte Unternehmensberater oder Anwaltskanzleien sein. Am besten Kanzleien, in denen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte vereint sind. Ganz entscheidend: Vorab erfragen, ob wirklich Branchen- und Fachkenntnisse vorhanden sind. Es versteht sich von selbst, dass diese Experten dann zunächst auch immer Rettungsschritte vor der Insolvenz überprüfen, so etwa einen außergerichtlichen Vergleich. Dieser kommt jedoch nur zustande, wenn alle Gläubiger zustimmen.
Und noch einen Tipp gibt Experte Schotte: Gute Berater sind wichtig, doch daraus nun den Umkehrschluss zu ziehen, schon bei ersten Problemen alles in fremde Hände zu legen, ist falsch. „Unbedingt selbst denken“, lautet darum auch sein provokanter Rat. Und der ist keineswegs ironisch gemeint.

Hintergrund: Das Insolvenzverfahren

Die Verpflichtung, einen Insolvenzantrag zu stellen, kann auf zwei Gründen fußen: Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Tritt einer dieser Tatbestände ein, muss unverzüglich, längstens aber innerhalb von drei Wochen, beim zuständigen Gericht ein Insolvenzantrag gestellt werden. In der Praxis sind es zumeist Liquiditätsprobleme, die zu diesem Schritt zwingen.
Der Insolvenzantrag bewirkt, dass dem Antragsteller ein vorläufiger Insolvenzverwalter zur Seite gestellt wird, der zum einen versucht, das operative Geschäft fortzuführen, und zum anderen ermitteln muss, ob überhaupt genügend Masse zur Deckung der Verfahrenskosten vorhanden ist. Ist dies der Fall, wird das Verfahren eröffnet. Danach sind folgende drei Szenarien denkbar:
Liquidierung: Der Betrieb wird eingestellt. Alles, was noch vorhanden oder eintreibbar ist, wird versilbert. Die Gläubiger erhalten allenfalls einen kleinen Teil des geschuldeten Geldes.
Übertragene Sanierung: Eine Auffanggesellschaft kauft die Werte des Unternehmens vom Insolvenzverwalter. Interessant dabei: Dies kann der bisherige Inhaber sogar selbst machen, er kann dazu zum Beispiel eine neue GmbH gründen.
Insolvenzplanverfahren: Wenn die Perspektiven gut genug sind, kann das Unternehmen sogar direkt vom bisherigen Inhaber weitergeführt werden, dem dann der Insolvenzverwalter nur zur Seite steht. Zur Reduzierung der Schulden wird dann ein gerichtlicher Vergleich geschlossen, der gegenüber dem außergerichtlichen Vergleich den Vorteil hat, dass nicht mehr alle Gläubiger zustimmen müssen, sondern nur noch eine bestimmte Mehrheit. Dies ist manchmal eine gute Möglichkeit, besonders renitente Gläubiger einzubinden. Ist ein solches Vorgehen geplant, empfiehlt es sich außerdem, dies gründlich vorzubereiten und dieses Vorhaben schon bei Antragstellung anzugeben. Denn auch unter den Insolvenzberatern gibt es Spezialisten für Abwicklung oder Sanierung.