Urheberrechtsreform 27.03.2019, 10:47 Uhr

So kritisiert die Branche die EU-Entscheidung

Ungeachtet des heftigen Widerstands im Netz und auf der Straße hat das Europaparlament der Reform des Urheberrechts ohne Änderungen zugestimmt. Viele befürchten nun eine Marktverdichtung und Überfilterung des Internets. Wir zeigen die wichtigsten Reaktionen.
(Quelle: shutterstock.com/Pe3k)
Nach der Zustimmung des Europaparlaments zur Reform des Urheberrechts sind nun die EU-Staaten erneut am Zug. Sie müssen dem Kompromiss noch einmal zustimmen. Dies hatten sie - auch mit einem deutschen Ja - im Februar schon einmal getan. Als möglicher Termin für das neue Votum gilt der 9. April.
Die Gegner erhoffen sich, dass die Bundesregierung die Zustimmung dann verweigert. Das gilt jedoch als unwahrscheinlich. Falls die EU-Staaten erneut zustimmen, hätten sie rund zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht umzusetzen.
In der Branche stieß das Urteil vornehmlich auf Kritik. Für viele war die Richtlinie zwar gut gemeint, aber nicht durchdacht. Befürchtet wird, dass statt der eigentlichen Urheber die großen Plattformen sowie die großen Verwertungsgesellschaften und Presseverleger profitieren werden. Upload-Filter und das Leistungsschutzrecht könnten nicht nur die Beiträge auf Facebook, YouTube und Twitter einschränken, sondern auch jedes Start-up im Internet vor beträchtliche Hürden stellen. Kleine Unternehmen müssen eventuell ihre Dienste einschränken, oder künftig Technologien einkaufen, die sich nur die Großen in der Entwicklung leisten können.
Wir zeigen wichtige Reaktionen:

1. Die Digitalbranche

  • Socialbakers CEO Yuval Ben-Itzhak: "Urheber von urheberrechtlich geschützten Inhalten haben natürlich das Recht, von ihrer Arbeit zu profitieren. Doch die Geschichte zeigt, dass eine neue Gesetzgebung oder der Versuch, jeden einzelnen Urheberrechtsverstoß in der offenen digitalen Welt wie dem Internet hinterherzujagen, einen sehr begrenzten Erfolg hat. Beispielsweise hat Software einen großen Erfolg erlebt, als sie sich dem Open-Source-Modell gegenüber dem traditionellen Lizenzmodell zuwandte. Viele Unternehmen haben Ihren Weg gefunden, von ihrer Arbeit zu profitieren, indem sie das Open-Source-Softwaremodell übernommen haben und gleichzeitig von seiner Reichweite und Nutzung profitieren. Content Creators sollten über disruptive Modelle nachdenken, die sich besser an die digitale Welt anpassen lassen."
  • Die Initiatoren der nach eigenen Angaben weltweit größten Petition auf der Kampagnenplattform Change.org:

    Dominic Kis: "Statt ein faires und gerechtes Urheberrecht für alle zu verhandeln, das nicht nur die Interessen von Großkonzernen in den Vordergrund stellt, hat das Europäische Parlament die Bedenken von fünf Millionen Bürgerinnen und Bürgern ignoriert."

    Pascal Fouquet: "Es ist beschämend, dass das Parlament die Bedenken vieler Millionen Bürger nicht ernst nimmt und noch nicht mal über die einzelnen Artikel abstimmen wollte. Das Ergebnis wird Auswirkungen über das Internet hinaus nehmen, die gesamte Kampagne und auch die Abstimmung wird die Politik- und Europaverdrossenheit absolut unnötig befeuern."

  • Whistleblower Edward Snowden: "Vergiss nie, was sie hier gemacht haben."

2. Die Verbände

  • Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder: "Mit der heutigen Entscheidung verliert die EU ihren Status als Vorreiterin der Meinungsfreiheit. Wer im eigenen Land jeden Inhalt vor dem Hochladen ins Internet prüfen und im Zweifelsfall blockieren lässt, der macht sich im weltweiten Kampf für die Freiheit der Meinung und auch der Kunst unglaubwürdig. Die in scharfem Ton geführten Diskussionen rund um Upload-Filter haben eine gesellschaftliche Spaltung zwischen vornehmlich jüngeren und internetaffinen Menschen und großen Teilen des politischen Establishments offenbart. Diese Risse können sich dann schließen, wenn sich die politisch engagierten jüngeren Menschen aus den sozialen Netzwerken in die politischen Parteien und Institutionen bewegen. Zunächst einmal werden wir uns von der bekannten Freiheit im Internet ein stückweit verabschieden müssen. Gleichzeitig erschwert es die Richtlinie jungen europäischen Unternehmen, zu großen Plattformen zu wachsen. Nun gilt es in Deutschland Wort zu halten und Upload-Filter zumindest bei uns tatsächlich auszuschließen. Positiv an der Reform ist allein, dass ein Text-und-Data-Mining nun auch für die Wirtschaft möglich ist. Damit ergeben sich neue Wege für Innovationen der Künstlichen Intelligenz."

  • BVDW-Präsident Matthias Wahl: "Die EU hat eine Grenze überschritten und greift in einen Bereich ein, den sie niemals hätte tangieren dürfen: Die Meinungsfreiheit. Es ist unstrittig, dass wir für die EU dringend ein modernes Urheberrecht brauchen, das den heutigen Anforderungen gerecht wird. Im Großen und Ganzen ist die heute verabschiedete Richtlinie dafür eine solide Basis. Mit der Upload-Filter-Regelung aber untergräbt die EU die Werte, für die wir als Staatengemeinschaft in Europa seit jeher einstehen. Die Meinungsfreiheit ist gerade in schwierigen politischen Zeiten das höchste Gut, das nun einer Urheberrechtsregulierung untergeordnet wird. Das ist eine besorgniserregende Tendenz der Politik. Der Schutz der Urheber ist richtig und entsprechende Maßnahmen daher notwendig. Aber die in Artikel 17 getroffenen Maßnahmen entbehren der Verhältnismäßigkeit."

  • eco (Verband der Internetwirtschaft )-Vorstandsvorsitzender Oliver Süme: "Das Schicksal des freien demokratischen Internets ist besiegelt. Die Entscheidung führt dazu, dass das Internet in Europa kaputt gefiltert wird; es wird sich fundamental verändern. Zudem droht eine einschneidende Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien, wenn zukünftig Algorithmen von Unternehmen und nicht Gerichte darüber entscheiden, was wir im Internet sehen, hören und lesen dürfen. Zudem wird ein europäisches Leistungsschutzrecht die Digitalisierung der Verlags- und Nachrichten-Branche weiter verzögern, Innovation behindern und zum Wettbewerbsnachteil für den Investitionsstandort Europa werden. Das alles hat mit einem freien Informationsaustausch und einem offenen Internet nichts mehr zu tun. Es ist enttäuschend, dass nach über zwei Jahren intensiver Diskussion jetzt doch die Einführung eines europäischen Leistungsschutzrechts und der Upload-Filter bevorsteht. Die fehlgeleitete Novellierung des europäischen Urheberrechts ist ein herber digitalpolitischer Rückschritt und wir haben gleichzeitig die Büchse der Pandora auch für die Filterung anderer Inhalte geöffnet."

  • Der Präsident des Deutschen Musikverleger-Verbands, Axel Sikorski: "Wir sind erleichtert, dass die Desinformationskampagne der Online-Plattformen und sogenannten Netzaktivisten keine Früchte getragen und sich das EU-Parlament an den Tatsachen und existenziellen Bedürfnissen der Kreativen orientiert hat."

  • Der stellvertretende Verdi-Vorsitzende Frank Werneke: "Mit der Richtlinie ist der Anspruch der Kreativen auf angemessene und verhältnismäßige Vergütung europaweit vorgegeben."

  • Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger: "Die Zustimmung zur Reform ist ein Ja zur digitalen Zukunft von Kultur und Medien und zu einer lebendigen und vielfältigen Kreativlandschaft in Europa."

3. Die Politik

  • Bundesjustizministerin Katarina Barley, SPD: "Jetzt geht es darum, die Richtlinie so umzusetzen, dass Künstlerinnen und Künstler tatsächlich davon profitieren und Meinungsfreiheit und Vielfalt im Netz erhalten bleiben."

  • Der CDU-Europapolitiker Axel Voss, der das Vorhaben federführend mit den EU-Staaten verhandelt hat: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, die Prinzipien des Rechtsstaats gelten auch im Netz."

  • FDP-Chef Christian Lindner: "Ein trauriger Tag für alle Verfechter des freien Internets. Jetzt gilt es, den Schaden bestmöglich zu begrenzen. Hier sind nun die Plattformbetreiber gefordert."

  • Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen: "Urheber zu schützen war das gute Ziel - Hürden für kleine Anbieter, Rechtsunsicherheit und Filter für Nutzer sind das schlechte Ergebnis."

  • Linken-Chef Bernd Riexinger: "Leider ist das EU-Parlament vor den Interessen der Großunternehmen umgefallen. Die Meinung der breiten Mehrheit der europäischen Bevölkerung wurde nicht gehört."




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