25 Jahre Telecom Handel 25.04.2022, 11:52 Uhr

Heißhunger nach Breitbandnetzen

Noch immer gilt Deutschland als Entwicklungsland in Sachen Breitband. Dabei gab es viele ambitionierte Projekte, um den Ausbau voranzutreiben.
(Quelle: Fernando Cortes/Shutterstock)
Als vor zwei Jahren die große Mehrheit der Büromitarbeiter ­ins Homeoffice wechseln musste und viele zwangsweise zu Videokonferenz-Junkies wurden, fiel häufig ein Satz in den Meetings: „Was hätten wir vor zehn oder 20 Jahren gemacht, als die Technik und vor allem die Bandbreite noch nicht so waren wie heute?“ Und in der Tat, hätte Corona vor 20 oder 25 Jahren gewütet, wäre das Arbeiten im Homeoffice größtenteils nicht möglich gewesen. Der Grund: Es fehlte schlicht an schnellem Internet, um Videokonferenzen zu nutzen oder auf Firmennetzwerke zuzugreifen.

Ein Blick zurück

Im vergangenen Jahrtausend hatte ISDN das analoge Netz bereits ersetzt – und dessen Einführung wurde in der Branche beinahe frenetisch gefeiert. In einem Telekom-Blog heißt es beispielsweise: „Es war März 1989: In Bonn regierte Helmut Kohl, die Mauer stand felsenfest, Deutschland pfiff ‚Don’t worry, be happy‘ von Bobby McFerrin, und plötzlich begann die Zukunft. Die Zukunft trug vier Buchstaben: ISDN. Auf der Cebit in Hannover stellte – nein, nicht die Telekom, sondern – die gute alte Deutsche Bundespost die Kommunikation von morgen vor: ISDN.“ Und weiter: „Die vier Buchstaben hätten auch für ‚Ich. Sehe. Das. Neue‘ stehen können.“
Das Revolutionäre daran war, dass mit ISDN ein gemeinsames digitales Netz für alle Kommunikationswege – Sprache und Daten, Texte und Bilder – entstanden ist. Plötzlich wuchsen Geräte zusammen, die sich zuvor fremd waren. Es gab sogar die ersten Bildtelefone, allerdings war wegen der niedrigen Bandbreite die Qualität dieser Gespräche, nun ja, mäßig. Dennoch brachte ISDN viele Vorteile, so konnten damals bis zu zehn Nummern pro Anschluss belegt werden – bei einem ISDN-Anschluss konnten zudem zwei parallele Gespräche geführt werden. Ab 1995 war ISDN in Deutschland flächendeckend verfügbar – und das Internet kam (langsam) auf. Statt mit 14,4 oder 28,8 Kilobit pro Sekunde (KBit/s) surften User per ISDN mit 64 KBit/s. Nutzten Anwender Kanalbündelung, so konnten sie die Datenübertragung auf 128 KBit/s erhöhen – Telefonate waren dann aber nicht möglich, da beide Kanäle ja belegt waren.
Unternehmen, die deutlich mehr Ka­näle für Fax, Telefonie und Co. brauchten, setzten in dieser Zeit und noch für viele Jahre auf Primärmultiplexanschlüsse (PMxAS). Ein Primärmultiplexanschluss war in Kanäle strukturiert und bestand aus mindestens 16 und maximal 30 Nutzkanälen (B-Kanäle) sowie einem Signalisierungskanal (D-Kanal) und einem Synchronisationskanal. Hier waren immerhin 2.048 KBit/s Bruttodatenübertragungsrate möglich. Bei größerem Bedarf wurden mehr Anschlüsse gebucht.

Die All-IP-Umstellung – eine Zäsur

Letztendlich sollten die Tage von ISDN aber schon wenige Jahre darauf gezählt sein: Im Jahr 2015 hatte die Deutsche ­Telekom damit begonnen, parallel zum Breitbandausbau alle Sprach- und Da­tenanschlüsse auf die Internet-Protokoll (IP)-Technologie umzustellen. Das Argument damals war: Mit der Migration könne man das Next Generation Network (NGN) realisieren und damit die Administration der Netze deutlich vereinfachen. Auch sei ISDN mittelfristig in technischer Hinsicht nicht mehr zeitgemäß. Das hehre Ziel war zu dieser Zeit, die Umstellung bis Ende 2018 abzuschließen – ein Termin, der allerdings nicht eingehalten werden konnte. Letztendlich sollte es bis 2020 dauern, bis die Umstellung weitgehend vollzogen war.
Im Privatkundenbereich war die Umstellung Ende 2019 fast abgeschlossen. Dabei wurden die analogen Anschlüsse, die lediglich zum Telefonieren genutzt wurden, in der Vermittlungsstelle auf IP umgestellt und der analoge Anschluss wurde im Netz emuliert – Stichwort MSAN POTS. Einige Herausforderungen gab es aber im Geschäftskundenbereich.
Im Jahr 2015 startete die Telekom die All-IP-Umstellung, die letztendlich deutlich später als geplant abgeschlossen wurde.
Quelle: Telekom
Viele Unternehmen hatten noch Telefon­anlagen im Einsatz, die auf ISDN basierten. Diese mussten für VoIP mit einem Gateway fit für das neue Zeitalter gemacht werden. Unternehmen, die hybride Anlagen im Einsatz hatten (VoIP und ISDN) waren hier im Vorteil. Für Reseller war die Umstellung Fluch und Segen zugleich: Einerseits profitierten sie von den zusätzlichen Aufträgen, andererseits aber ächzten sie auch unter dem Mehraufwand, der damals für sie entstanden war. Dies lag etwa an der Koordinierung der Termine, beispielsweise für den Techniker des Netzbetreibers, der die Umstellung vor Ort beim Kunden durchführen musste. Darüber hinaus mussten eine ganze Reihe von Systemen wie etwa Notrufe, EC-Cash-Systeme oder auch das simple Faxen analysiert werden, ob sie für den Einsatz im NGN auch geeignet waren.
Neben den Resellern waren aber auch die Wettbewerber von der Umstellung ­betroffen – vor allem, wenn sie Vorleistungsprodukte der Telekom nutzten. ­Diese mussten ebenfalls auf das NGN mi­griert werden. Einige warben zudem damit, dass sie Kunden noch einige Jahre Anschlüsse auf ISDN-Basis anbieten würden. Mittlerweile aber scheint es, dass die All-IP-Umstellung abgeschlossen oder zumindest kein Thema mehr bei Netzbetreibern, Resellern und auch Kunden ist.
Der Hunger nach Bandbreite war damals – und ist es auch heute noch – ungebrochen: Vor gut 20 Jahren war die Antwort darauf die Einführung von DSL (Digital Subscriber Line).

VDSL sorgte für deutlich mehr Speed

Die Netzbetreiber forcieren den Glas­faserausbau und setzen dabei auch auf neue Technologien wie Micro-Trenching.
Quelle: Vodafone
Die ersten Anschlüsse konnten ab 1. Juli 1999 geschaltet werden und wurden nur als ADSL-Bündelprodukte mit T-ISDN und einer fixen Datenrate von 768 KBit/s im Downstream und 128 KBit/s im Upstream angeboten. Darauf folgten immer mehr Angebotsvarianten mit höheren Bandbreiten. Bis zum 1. Juli 2004 wurde T-DSL allerdings ausschließlich von der Telekom angeboten. Danach konnten auch andere Provider das Produkt unter eigenem Namen vermarkten (T-DSL-Resale). Im Jahr 2006 begann die Telekom schließlich mit dem Ausbau der VDSL-Technik. „Very High Speed Digital Subscriber Line“ steht für einen besonders schnellen DSL-Anschluss. Allerdings kam bei allen DSL-Varianten hier das Kupferkabel zum Einsatz.
Und genau dies war Grund für die Kritik vieler Wettbewerber: Der Bund als Mehrheitsaktionär der Telekom hatte jahrelang den DSL-Ausbau – und damit die Erschließung via Kupferkabel – gefördert. Damit werde der Ausbau von schnelleren Glasfasernetzen behindert, so das Argument der Konkurrenz. Erst 2018 erteilte die damalige schwarz-rote Koalition dieser Förderung eine Absage.
Vor allem im Privatkundenbereich nutzten viele Kunden zudem Kabelanschlüsse, um mit schnellem Internet versorgt zu sein. Netzbetreiber wie Vodafone sahen hier eine Möglichkeit, mit Übernahmen ihr Breitbandangebot und auch die Zahl der Kunden zu erweitern. Mittlerweile werden die Kabelnetze zudem technisch aufgerüstet.

Breitband – der Schlüssel zur Digitalisierung

Dennoch ist die Breitbandabdeckung gelinde gesagt „ausbaufähig“ in Deutschland. Zwar fördert der Bund schon länger die Erschließung, doch die Genehmigung der Gelder und auch weitere behördliche Auflagen sind mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Deshalb hat die jetzige Ampelkoalition eine neue „Gigabit-Strategie“ ins Spiel gebracht. Das Ziel: Bis 2030 sollen in Deutschland Glasfaseranschlüsse und 5G-Mobilfunk für alle verfügbar sein. Bei der Förderung will die Regierung nachsteuern, um langwierige Verfahren zu verkürzen.
Seit einigen Jahren arbeiten aber auch die Netzbetreiber daran, altes Konkurrenzdenken aufzuweichen. Dazu gehören Open-Access-Plattformen, wie sie etwa 1&1 Versatel betreibt. Das Ziel ist, andere Anbieter einzubinden, um damit gemeinsam die Abdeckung zu erweitern. Für Schwung sorgen aber auch Kooperationen zwischen den Netzbetreibern. Selbst die Telekom, die bislang überwiegend Wholesale betrieb und das eigene Netz an Wettbewerber vermietet hatte, will nun Kapazitäten von den anderen Anbietern einkaufen – Stichwort Wholebuy.
Diese Initiativen sind auch dringend nötig, um hierzulande den Technologie- und Wirtschaftsstandort zu sichern. Denn Deutschland ist in Sachen digitale Wettbewerbsfähigkeit während der Corona-Pandemie weiter zurückgefallen. Laut einer Untersuchung des Berliner European Center for Digital Competitiveness (ECDC) verlor die Bundesrepublik im vergangenen Jahr weiter an Boden. Bezogen auf die Entwicklung reichte es lediglich für den vorletzten Platz in Europa: Schlechter schnitt nur Albanien ab. Auch innerhalb der G7 befindet sich Deutschland demnach unter den Schlusslichtern. Es gibt also noch viel zu tun.




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