Interview 16.06.2021, 14:09 Uhr

Gabriele Horcher: „Es findet ein Paradigmenwechsel in der Kommunikation statt“

Künstliche Intelligenz verändert die Kommunikation, Systemhäuser ­sollten sich deshalb jetzt mit dem Thema beschäftigen - sagt Bestseller-Autorin und Moderatorin Gabriele Horcher im Interview mit Telecom Handel.
(Quelle: Anton Gvozdikov/Shutterstock)
Corona hat uns gezeigt, dass Menschen und Unternehmen – wenn es sein muss – sehr schnell in der Lage sind, ihre Kommunikation anzupassen, zu digitalisieren. Mehrere Faktoren sprechen allerdings dafür, dass das vergangene Jahr nur ein Vorgeschmack auf den Paradigmenwechsel in der Kommunikation war, der in den nächsten zehn Jahren bevorsteht. Darüber sprach die Redaktion mit Gabriele Horcher im Interview.
Telecom Handel: Woran machen Sie eigentlich einen Paradigmenwechsel fest?
Gabriele Horcher: Vor allem daran, dass sich das Kauf- und Informationsverhalten unserer Zielgruppen – egal ob B2C oder B2B – so massiv verändert, dass wir über die bisherigen Kommunikationskanäle nur noch unzureichend kommunizieren können. Der letzte große, sehr disruptive Paradigmenwechsel wurde durch das Aufkommen des Internets vor über 20 Jahren eingeleitet. Plötzlich gab es Websites, E-Mail-Kommunikation, E-Commerce und Online-Medien. Unternehmer, die auf das geänderte Kaufverhalten nicht mit einem veränderten Verkaufsverhalten reagiert haben, haben viel Geld und Marktanteile bis hin zum eigenen Unternehmen verloren.
Gabriele Horcher ist Kommunikationswissenschaftlerin, Moderatorin und Buchautorin. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Künstliche Intelligenz in der Kommunikation – sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich.
Quelle: Gabriele ­Horcher
TH: Und das Informations- und Kaufverhalten verändert sich bereits wieder?
Horcher: Ja, durch Technologien wie Text-Mining, intelligente Web-Suchmaschinen, Voice Search oder Smart Speaker vereinfacht sich die Recherche nach relevanten Informationen. Verbraucher und Unternehmen kaufen über Voice Commerce wie zum Beispiel Alexa und Alexa for Business ein, lassen zukünftig Voice-Assistenten die Einkäufe selbstständig erledigen oder Formulare im Internet automatisiert ausfüllen.
TH: Wie unterstützt Künstliche Intelligenz heute schon Vertrieb und Kommunikation?
Horcher: Künstliche Intelligenz (KI) hilft uns, Zeit und Ressourcen zu sparen. Digitale, sprachgesteuerte Assistenten helfen uns bei der Bearbeitung von Fotos. Es gibt Lösungen für Sprache-zu-Text, Text-zu-Sprache und sogar Text-zu-Video. Möglich sind Übersetzungen ganzer Word- oder Powerpoint-Dateien und von Gesprächen. Oder wir schicken unser Hologramm mit unserer individuellen Gestik und Stimme virtuell zum Kunden oder auf Vortragsreisen. Es geht weiter bei der automatisierten Bilderkennung und auch Texterstellung. Es können wiederkehrende Prozesse durch RPA (Robotic Process Automation) oder über digitale Mitarbeiter (Digital Workforce) automatisiert werden.
TH: Was gibt es schon, wird aber noch nicht im Business eingesetzt?
Horcher: Spannend finde ich den IBM Watson Project Debater, der mit Menschen über komplexe Themen debattieren kann, ohne vorher dafür trainiert worden zu sein. Die stärksten Argumente werden in Minuten aus Datenbanken und Publikationen extrahiert und in einen Vortrag umgesetzt. Watson kann außerdem die Rede mit der Gegenmeinung verstehen, vergleicht die Argumente und schärft seine Argumente noch einmal nach.
TH: Und welche Möglichkeiten gibt es für den Mittelstand?
Horcher: Viele beschriebene Lösungen sind auch für den Mittelstand erschwinglich. Sie helfen, jetzt schon Kommunikation zu beschleunigen, den Kundenservice oder den Support zu verbessern. Es ist wichtig, dass der Mittelstand sich an seiner Zielgruppe orientiert und beobachtet, wie und wann sich deren Kaufverhalten verändert.
TH: Geht das auch mit KI?
Horcher: Künstliche Intelligenz kann ganz neue Erkenntnisse über unsere Zielgruppen bringen. Verschiedenste Aspekte lassen sich analysieren: zum Beispiel das Verhalten in Social Media, Stimmmuster, Gesichtsausdrücke oder auch Körpersignale wie Herz- und Atemfrequenz. Algorithmen können zum Beispiel Lippen lesen und dabei he­rausfinden, was eine Person in einem bestimmten Moment will – sie erkennen auch, wie sie sich in diesem Moment fühlt oder wie sie ganz generell tickt. Mit diesem Wissen lässt sich nicht nur die spezifische Ansprache verändern, sondern auch das spezifische Angebots-Portfolio bis hin zum individuellen Preis.
TH: Welche Entwicklungen erwarten Sie in naher Zukunft?
Horcher: Coronabedingt haben wir alle ganz viele Web-Meetings abgehalten. Da fehlen uns – besonders im Vertrieb – die zusätzlichen Sinneseindrücke wie die Mimik oder auch der Geruch. Deshalb bin ich mir sicher, dass es bald Web-Meeting-Lösungen geben wird, die die Emotionserkennung ,optional‘ mit anbieten.
TH: Bedeutet das auch, dass Kommunikationsstrategien angepasst werden müssen?
Horcher: Auf jeden Fall. Eine Strategie, die von Gartner Research beschrieben wurde, ist zum Beispiel die signal- oder ereignisbezogene Ansprache, die bis zu sechsmal erfolgreicher ist, als wenn ein (Neu-)Kunde ,ohne Grund‘ angesprochen wird. Dazu müssen uns Daten – am besten sogar Echtzeitdaten – zur Verfügung stehen.
TH: Und was raten Sie Systemhäusern?
Horcher: Sie haben das technische Verständnis, nicht nur auf den Wandel zu reagieren, sondern sogar zu agieren! Sie sollten unbedingt die Chance nutzen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Der Einsatz von KI ist jetzt noch ein USP. Wenn Systemhäuser sich jetzt KI-Kompetenz aneignen, können sie durch eine bessere Kommunikation bei ihren Kunden punkten.