M-Payment 01.09.2009, 14:49 Uhr

Das Handy als Brieftasche

Der lang erwartete Wachstumsmarkt für M-Payment könnte bald Realität werden – Feldversuche mit NFC-Chips in Handys – Einheitliche Strukturen und Standards sind weiter problematisch.
Manchmal kommt es anders, als man denkt. Beweise für diesen Sinnspruch gibt es in der Business-Welt genug. Grundsätzlich weit an allen optimistischen Prognosen vorbei entwickelt sich –vor allem in Deutschland – seit Jahren das Bezahlen mit dem Handy, das sogenannte M-Payment. Schon vor zehn Jahren wurden dabei kühne Visionen verkündigt, in denen das Mobiltelefon zur elektronischen Brieftasche mutierte und sichere Transaktionen gewährleistete. Zum Einsatz sollten dabei je nach Konzept einschiebbare EC-Karten oder auch Erkennungen per Fingerabdrucksensor kommen.
Das alles war zwar höchst visionär, doch die Realität machte einen Strich durch die Rechnung: Zu Beginn hakte es bei der Technik, doch vor allem fehlten ein einheitliches System und eine Wertschöpfungskette. Denn die Frage ist noch immer, wer bei M-Payment Geld verdienen soll: die kontoführende Bank, ein spezieller M-Payment-Provider oder etwa der Netzbetreiber, der den finalen Zugriff auf den Kunden hat? Verbunden mit dem Thema sind zudem M-Banking, bei dem ein Kunde mobil auf Bankdienste zurückgreift, und M-Shopping, bei dem über das mobile Web eingekauft wird.
Andere Länder gehen voran
Andere Länder sind hier deutlich weiter als Deutschland: In Japan bietet der führende Netzbetreiber NTT Docomo zum Beispiel „Osaifu-Keitei“ als M-Payment-Service an, dem sich sogar einige Konkurrenten und viele Partner aus dem Handel angeschlossen haben. Dabei kommen Handys mit einem NFC (Near Field Communication)-Chip zum Einsatz, der an ein Kontaktfeld gehalten werden muss.
Hierzulande gab es bereits Paybox als Zahlungsprojekt, das jedoch nur mäßigen Erfolg zeigte. Der Anbieter wurde von Sybase 365 übernommen. Unter dem alten Namen ist Paybox nur noch in Österreich aktiv, wo außer „3“ alle Netzbetreiber das System nutzen. Die Eigner sind mehrheitlich Mobilkom Austria und Orange Austria. In unserem Nachbarland ist M-Payment weiter verbreitet als in Deutschland, so nutzen schon 25 Prozent der in Wien parkenden Autofahrer das Bezahlen per Handy. Für Paybox gibt es über 6.000 Akzeptanzstellen.
Die Hürden bei den potenziellen Kunden sind dabei vor allem psychologischer Natur. So sinkt laut Eckhard Ortwein, Vizepräsident EMEA von Sybase 365, die Bereitschaft von Kunden, einen M-Payment-Dienst zu nutzen, wenn sie sich extra registrieren müssen. In Österreich entfällt dies für Vertragskunden der Netzbetreiber, lediglich die Besitzer von Prepaid-Karten müssen sich registrieren. Eingekauft wird via Handy-Nummer und der Bestätigung eines Rückrufs oder einer Rück-SMS per Passwort. Abgebucht wird über die Handy-Rechnung bei Vertragskunden oder über Voucher, die Prepaid-Kunden vorher erwerben. Ein physisches System per Chip im Handy gibt es bei Paybox noch nicht. Eckhard Ortwein: „Es hat sich gezeigt, dass die Hürden für den Nutzer niedrig sein müssen, sonst gehen 60 bis 70 Prozent der potenziellen Kunden verloren.“ Zudem sollte es genug Akzeptanzstellen geben, damit bei den Kunden ein Gewöhnungseffekt eintreten kann, stellte der Eco-Verband letztes Jahr in einer Studie fest.

M-Payment: Das Handy als Brieftasche

Einen Feldversuch führen Vodafone, Telefónica O2 Germany und die Deutsche Bahn durch, an dem auch Giesecke & Devrient (G&D) als technischer Dienstleister beteiligt ist. Die Unternehmen testen „Touch and Travel“ im Berliner Nahverkehr und auch auf einer ICE-Strecke. An einem sogenannten Touchpoint muss sich der Reisende lediglich vor und nach der Fahrt mit seinem NFC-Handy an- und abmelden. Danach erhält er eine Rechnung nach Hause, die den Preis und die gefahrene Verbindung auflistet. Derzeit sind 200 Nutzer aktiv, im nächsten Jahr könnte dann auch ein Regelbetrieb starten.
Als einer der Förderer und Entwickler von mobilen Payment-Technologien tritt das Unternehmen Giesecke & Devrient aus München – bekannt als Drucker von Geldscheinen – auf. Klaus Vedder, Divisionsleiter Cards and Services Telekommunikation bei G&D: „Mobile, kontaktlose Ticketing- und Bezahlsysteme sind auf dem Vormarsch. Eine flächendeckende Anwendung setzt voraus, dass Kunden unabhängig vom Anbieter überall den Vorteil der mobilen, kontaktlosen Technologie, ganz gleich, ob Ticketing, Payment oder andere Dienste, nutzen können. Daran müssen Verkehrsbetriebe, Mobilfunkanbieter, Banken und Kreditkartenorganisationen gemeinsam mit einem Technologiepartner arbeiten.“
Doch um eine physische Identifikation zu gewährleisten, die über eine Software-Lösung mit Web-Authentifizierung hinausgeht, müsste es zunächst einmal mehr Chips in Handys geben. Außer experimentellen Modellen wie dem Nokia 6131 NFC und einer Version des Motorola SLVR gibt es in Europa kaum solche Geräte, auch wenn sie sich mit relativ geringem technischem Aufwand bauen ließen. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little erwartet immerhin, dass im Jahr 2012 rund 30 Prozent aller Handys mit einem NFC-Chip ausgerüstet sein werden. Eine Lösung zum Überbrücken könnten aber auch Chips als Zubehör sein, die einfach an das Handy angehängt werden und mit der passenden Software auf dem Telefon arbeiten, oder MicroSD-Karten, die den Träger enthalten. Giesecke & Devrient schlägt zudem auch SIM-Karten mit Zahlungsfunktion vor, von denen es bereits Prototypen gibt.

M-Payment: Das Handy als Brieftasche

Dafür wäre ein einheitlicher Standard wichtig, damit die Kunden nicht ständig ihre Hardware anpassen müssen. Ebenso dürfen die vielen Versuche, die auf lokaler Ebene derzeit laufen, auch nicht auf Insellösungen hinauslaufen. Denn was nützt es dem Verbraucher, wenn er mit seinem Handy in Mainz eine Fahrkarte kaufen kann, in Wiesbaden aber schon nicht mehr? Der Eco-Verband stellt in seiner M-Payment-Studie fest: „Abschreckend wirken meist die Bedienung und die verwirrende Vielfalt uneinheitlicher Angebote an Payment-Lösungen.“ Vorteile sehen die Forscher vor allem in dem hohen Vertrauen, das die Kunden dem Handy für die Sicherheit ihrer Transaktionen entgegenbringen.
Netzwerke sind nötig
Auch die Frage nach den Hauptakteuren ist noch offen. So haben die Netzbetreiber die wertvollen Kundendaten und den Zugang zu passender Hardware in der Hand – in Japan war das ausschlaggebend für den Erfolg von M-Payment. Doch gleichzeitig müssten sie ein Netz von Partnern knüpfen und mit den Banken kooperieren. Diese wiederum brauchen einen Zugang zur Technik und dem Transaktionsmedium. Zudem müssten sie ihre Systeme dem ganz normalen Zahlungsverkehr öffnen und nicht nur auf Kreditkarteninhaber setzen, die lediglich 20 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachen, die sich auch noch auf verschiedene Anbieter verteilen. Schließlich sollten auch noch die Kunden von den neuen Möglichkeiten erfahren, denn wenn niemand in die Vermarktung investiert, werden sie die Angebote ignorieren.
Wenn die Realität so schwierig bleibt, geht der M-Payment-Boom an Deutschland mit Sicherheit vorbei – während weltweit laut den Marktforschern von Gartner bis 2012 immerhin mehr als 190 Millionen Menschen M-Payment nutzen werden, wobei die größten Wachstumsraten in Asien erwartet werden. In Entwicklungsländern gibt es großes Potenzial, Gartner nennt in einer Studie etwa die Philippinen als Beispiel, wo 80 Prozent der Einwohner ein Handy, aber nur 20 Prozent ein Bankkonto besitzen. Zumindest dort könnten die Prognosen also auch mal zutreffen.



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