HDE-Interview 23.05.2023, 13:10 Uhr

Der Handel im (Klima-) Wandel

Telecom Handel sprach mit Jelena Nikolic, Projektleiterin der Klimaschutzoffensive beim HDE, über die Auswirkungen der Klimakrise auf den stationären Einzelhandel – und was dieser nun tun muss.

(Quelle: Sepp photography/Shutterstock)
Die durch die Klimakrise verursachten Extremwetterereignisse sind auch in Deutschland von Jahr zu Jahr stärker spürbar – und wirken sich bereits jetzt auf den Einzelhandel aus. Dieser ist gleich doppelt gefordert: Zum einen muss er die eigenen CO2-Emissionen weiter reduzieren, zum anderen die richtigen Antworten auf die neuen Rahmenbedingungen finden. Diese kennt Jelena Nikolic, Projektleiterin der Klimaschutzoffensive beim Handelsverband Deutschland (HDE): Im Interview skizziert sie, welche Herausforderungen auf den Handel zukommen – und welche Gegenmaßnahmen er schon jetzt ergreifen sollte.
Telecom Handel: Die Klimakrise schreitet bedrohlich schnell voran. Inwiefern wirken sich Extremwetterereignisse wie zum Beispiel Hitze, Dürre oder Starkregen bereits jetzt auf die Handelslandschaft und das Einkaufsverhalten der Menschen in Deutschland aus?
Jelena Nikolic: Noch sind die Auswirkungen vergleichsweise gering, aber wir sehen die Anfänge einer neuen Herausforderung bedingt durch den Klimawandel, die in den kommenden Jahren schnell an Dynamik gewinnen wird. An Hitzetagen sinkt schon jetzt die Kundenfrequenz in nicht klimatisierten Geschäften. Dafür ist sie dort besonders hoch, wo durch Kühlung eine angenehme Einkaufsatmosphäre geschaffen wurde – beispielsweise in großen Shopping Malls. Sehr wahrscheinlich ist auch, dass Menschen ihre Einkäufe bei ungünstigen Wetterbedingungen eher am Computer erledigen werden – und der Trend zum Online-Shopping dadurch noch weiter verstärkt wird.
Jelena Nikolic, Projektleiterin der Klimaschutzoffensive beim HDE
Quelle: HDE
TH: Findet bereits ein Umdenken im stationären Handel statt? Oder ist sich dieser noch gar nicht so richtig darüber im Klaren, was da eigentlich auf ihn zukommt?
Nikolic: Ich glaube tatsächlich, dass bei vielen Händlern in Deutschland das Bewusstsein hierfür noch nicht besonders groß ist. Oft heißt es, man sei nicht betroffen von den Folgen des Klimawandels. Fragt man dann aber konkret nach den Temperaturen auf der Verkaufsfläche im vergangenen Hitzesommer, kommen manche doch ins Grübeln.
TH: Trotzdem scheuen viele Händler noch Investitionen …
Nikolic: So ist es. Dabei ist schon jetzt klar, dass Extremwetterereignisse immer weiter zunehmen werden – und wie teuer es wird, nicht zu handeln und Schutzmaßnahmen zeitlich nach hinten zu verschieben. Der Klimawandel könnte laut einer aktuellen Studie des Bundeswirtschaftsministeriums bis 2050 allein in Deutschland wirtschaftliche Schäden von bis zu 900 Milliarden Euro verursachen.
TH: Was kann der Einzelhandel konkret tun, um sich auf die Klimakrise so gut wie möglich vorzubereiten?
Nikolic: Zum einen gilt es, sich an die neue Realität anzupassen. Es gibt verschiedene bauliche Maßnahmen, die man am PoS umsetzen kann – abhängig natürlich von der Größe der Verkaufsfläche. Im Mittelpunkt steht dabei immer auch der Gedanke, eine angenehme Einkaufsatmosphäre zu schaffen. Über eine spezielle Sensorik kann beispielsweise die Raumtemperatur überwacht werden; Klimaanlagen, Markisen oder andere Verschattungselemente sorgen dafür, dass die Kunden nicht ins Schwitzen geraten: Eine kleine Ruhezone mit Sitzgelegenheit, ein Wasserspender und ein paar Grünpflanzen schaffen Raum für eine kurze Verschnaufpause. Die Möglichkeiten sind vielfältig.
TH: Was empfehlen Sie Händlern, die in besonders gefährdeten Regionen ihr Geschäft betreiben?
Nikolic: Bestimmte Extremwetterereignisse lassen sich nicht vorhersagen. Ein Händler in Lippstadt hätte es wohl nicht für möglich gehalten, dass ein Tornado durch die Stadt fegt und eine Schneise der Verwüstung hinterlässt. Weiß ich aber, dass ich zum Beispiel in einer hochwassergefährdeten Region lebe, ist vor allem eine gute Vernetzung mit den kommunalen Strukturen wichtig, um beispielsweise so früh wie möglich vor drohenden Umweltkatastrophen gewarnt zu werden. Manche Händler setzen auch ganz individuelle Maßnahmen um …
TH: Zum Beispiel?
Nikolic: Wir haben mit einem Händler gesprochen, der seine Heizung in den ersten Stock verlegt hat. So konnte er nach einer Überschwemmung wieder schneller sein Geschäft eröffnen, weil diese nicht beschädigt wurde. Ein anderer hat seinen Laden mit fahrbaren Regalen ausgestattet, um die ­Ware im Gefahrenfall schnell abtransportieren zu können. Auch gibt es Farbe, die das Eindringen von Wasser in das Mauerwerk verhindert. Know-how ist ebenfalls wichtig: Nicht jeder weiß, dass man bei einer Flut besser aktiv die Türen öffnet, damit weniger Druck zum Beispiel an den Fenstern entsteht, das Wasser schneller wieder abfließen und so der Schaden verringert werden kann.
TH: Eine gute Anpassungsstrategie ist das eine. Gleichzeitig ist der Einzelhandel selbst ein bedeutender CO2-Emittent mit einem Ausstoß von 10,5 Megatonnen im Jahr 2021 …
Nikolic: … der im Jahr 2013 mit 15,8 Megatonnen übrigens noch um 33 Prozent deutlich höher lag. Dennoch sind die Vermeidung von CO2-Emissionen und die Minimierung des Energiebedarfs natürlich von größter Bedeutung. Letzteres gilt seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs mehr denn je. Der Handel muss weiter konsequent auf erneuerbare Energien setzen – wenn man sich keine ­eigene Solaranlage aufs Dach schrauben kann, dann sollte man zumindest grünen Strom beziehen. Einsparpotenziale finden sich klassischerweise insbesondere bei der Heizung, der Gebäudehülle, der Beleuchtung, der Klimatisierung sowie der Kühlung.
Der deutsche Einzelhandel hat seit dem Jahr 2013 seine CO2-Emissionen deutlich reduzieren können.

Quelle: HDE
TH: Gerade hier sind aber oft größere bauliche Maßnahmen notwendig, die vom Vermieter mitgetragen und finanziert werden müssen, wenn dem Händler die Immobilie nicht selbst gehört.
Nikolic: Dies ist in der Tat ein Problem. Viele Vermieter wollen die Investitionen möglichst gering halten und dafür den eigenen Mietertrag maximieren.
TH: Was würden Sie betroffenen Händlern empfehlen, um den Vermieter für ihre Klimaschutzprojekte zu gewinnen?
Nikolic: Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Der eleganteste Weg ist, den Vermieter von ‚Contracting-Modellen‘ zu überzeugen. In so einem Fall gibt es dann drei Vertragsparteien: den Mieter, den Vermieter und ein Dienstleistungsunternehmen. Beim Energieliefer-Contracting beispielsweise plant, finanziert und errichtet ein Energieunternehmen eine neue Energieerzeugungsanlage für eine Immobilie. Der Invest liegt also erst einmal nicht beim Eigentümer, er profitiert aber von der eingebauten Technik. Finanziert wird das Ganze über einen Nebenkostenabschlag, den Mieter und Vermieter abgleichen.
TH: Bräuchte es bei Gewerbeimmobilien nicht auch neue Mietverträge, die das Thema Energieeffizienz viel stärker berücksichtigen?
Nikolic: Tatsächlich wird an solchen ‚grünen‘ Mietverträgen bereits gearbeitet. In diesen wird unter anderem geregelt, wie hoch der Energieverbrauch pro Quadratmeter Verkaufsfläche eigentlich sein darf und wo gemeinsame Investitionen möglich sein könnten. Problematisch ist dabei, dass Mietverträge für Handelsimmobilien oft zeitlich reglementiert sind. Das schmälert die Investitionssicherheit – und auch die Investitionsbereitschaft auf beiden Seiten, weil man nicht weiß, ob der Vertrag danach verlängert wird.
TH: Wie sieht es mit finanziellen Anreizen durch den Staat aus?
Nikolic: Es gibt große Förderprogramme, die den Austausch der Heizungsanlage oder den Bau einer Fotovoltaikanlage subventionieren. Aber auch kleine Händler, die sich in einem Mietverhältnis befinden, können zum Beispiel beim Austausch der Beleuchtung durch eine Erstattung der Kosten von bis zu 20 Prozent profitieren. Auch der Einbau von Sensorik-Systemen oder die Einführung von Energie-Managementlösungen werden ab einem Betrag von 2.000 Euro gefördert.
TH: Sie sind Projektleiterin der Klimaschutzoffensive des HDE. Was genau verbirgt sich hinter diesem Projekt?
Nikolic: Gestartet ist die Klimaschutzoffensive, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird, vor knapp sechs Jahren. Ziel ist es, den Einzelhandel dabei zu unterstützen, seinen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Wir wollen vor allem kleine und mittelständische Einzelhändler ansprechen, die neben ihrem täglichen Geschäft kaum Kapazitäten frei haben, um sich mit Energiesparmaßnahmen oder Klimaschutz auseinanderzusetzen.
TH: Wie sieht diese Unterstützung aus?
Nikolic: Mit unserer Webseite, diversen Informationsangeboten, Praxisbeispielen aus dem Handel sowie Online-Workshops und Präsenzveranstaltungen in ganz Deutschland wollen wir den Handel für das Thema sensibilisieren und zugleich auf Wettbewerbsvorteile hinweisen, die mit meist einfachen Maßnahmen erzielt werden können. Unsere ‚Werkzeugkiste‘ umfasst dabei unter anderem Entscheidungshilfen, Leitfäden und Checklisten sowie eine aktuelle Förder- und Energieberaterdatenbank.
TH: Ist die Teilnahme kostenlos?
Nikolic: Für den Händler sind alle Angebote und Materialien gratis, das gilt auch für die Teilnahme an den Veranstaltungen.
TH: Mit ‚HDE-Adapt‘ hat der HDE nun ein neues Programm im Rahmen der Klimaschutzoffensive aufgelegt …
Nikolic: Bei ‚HDE Adapt‘ geht es ganz konkret um die Anpassung an die Klimafolgen. Durch Workshops und Informationsmaterialien soll der Handel motiviert werden, sich gegen extreme Wetterereignisse besser zu wappnen. Gleichzeitig suchen wir im Rahmen des Programms nach Händlern, die bereits von Ex­tremwetterereignissen betroffen waren und berichten können, welche Maßnahmen sich als sinnvoll erwiesen haben – und welche nicht. Wir freuen uns, wenn Händler Kontakt zu uns aufnehmen.
TH: Werfen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft: Wie wird sich Ihrer ­Meinung nach die Handelslandschaft in Deutschland entwickeln?
Nikolic: Der Einzelhandel wird klimafreundlich und emissionsarm wirtschaften, es gibt ja auch die Verpflichtung zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2045. Was das Einkaufserlebnis anbelangt: Dieses wird viel digitaler und kundenorientierter werden. Zudem wird der Handel wieder viel stärker mit Kultur, Unterhaltung und Gastronomie verknüpft sein – denn nur so bleiben unsere Innenstädte schöne Aufenthaltsorte, in denen Menschen auch in Zukunft gerne zusammenkommen wollen.