Interview mit Navteq-Entwickler Naddell 16.11.2009, 11:42 Uhr

"Fast grenzenlose Möglichkeiten"

Marc Naddell, Vice President Developer & Partner Programs beim Kartenanbieter Navteq, wagt im Gespräch mit Telecom Handel einen Blick auf die Navigationsanwendungen von morgen.
Der große Navigations-Boom ist vorerst vorüber, die Hersteller wollen nun mit interaktiven Services und Smartphone-Navigation neue Kunden gewinnen. Telecom Handel sprach mit Marc Naddell, Vice President Developer & Partner Programs bei Navteq, über die Navigation der Zukunft.
Telecom Handel: In der Auto-Navigation sind Echtzeit-Verkehrsinformationen momentan die Killer-Applikation. Wie wichtig sind Dienste wie etwa TomToms HD Traffic wirklich?
Marc Naddell: Die Menschen wollen diese Services, denn der Verkehr ist einfach unvorhersehbar. Selbst wenn man in seiner Heimatstadt den altbekannten Weg ins Büro fährt, kann es sein, dass das Navi dank aktueller Infos über einen Stau eine schnellere Route kennt. Die Vorteile auf längeren Strecken sind dieselben: Man spart Zeit, Sprit und schont zudem seine Nerven.
Telecom Handel: Welche Anwendungen werden künftig möglich sein?
Naddell: Stellen Sie sich Folgendes vor: Eines Tages gehen Sie zu Bett und Ihr Navi weckt Sie am nächsten Morgen eine halbe Stunde eher als üblich, weil es Informationen über einen Stau auf dem Weg ins Büro erhalten hat und daraus eine Verspätung von 30 Minuten errechnet. Solche Applikationen werden künftig einen echten Mehrwert für den Nutzer darstellen.
Telecom Handel: Inwieweit unterscheiden sich die Anforderungen an Geräte, die in Fahrzeugen zum Einsatz kommen, von denen an Smartphone-Navigation für Fußgänger?
Naddell: Ein Autofahrer ist auf aktuelle Verkehrsinformationen angewiesen, einem Fußgänger dagegen sind Verkehrsstaus relativ egal. Fußgänger können außerdem auch gegen die Richtung einer Einbahnstraße gehen oder Abkürzungen durch Passagen oder Parks nehmen. Für uns als Kartenanbieter liegt die große Herausforderung im Sammeln dieser Daten.
Telecom Handel: Welche neuen Features könnte es in Zukunft im Bereich der Fußgänger-Navigation geben?
Naddell: Bereits heute ermöglichen es manche Applikationen dem Benutzer, eigene Profile mit Geschlecht, bevorzugten Routen und sogar mit den Schuhen, die er gerade trägt, anzulegen. Wenn eine Frau also beispielsweise auf High Heels unterwegs ist, dann wird sie das Navi nicht über eine Straße mit Kopfsteinpflaster leiten. Wenn dann auch noch dynamische Informationen wie etwa das aktuelle Wetter abgefragt werden, lassen sich auch Wege vermeiden, die nicht geteert sind. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt.

"Fast grenzenlose Möglichkeiten"

Telecom Handel: Also müssen sich die Entwickler solcher Applikationen und die Kartenanbieter wie Navteq immer mehr spezialisieren?
Naddell: Der Markt und die Anforderungen der Konsumenten verändern sich immer schneller, die Nachfrage nach Location Based Services nimmt immer mehr zu. Wir sind bereits seit mehr als 20 Jahren im Geschäft und werden auch in Zukunft am Ball bleiben.
Telecom Handel: Wie wird sich der Vertrieb von Karten-Updates künftig verändern?
Naddell: Die Kunden werden keine DVDs mit neuen Daten mehr kaufen, sondern sie über die Mobilfunknetze direkt auf ihr Gerät laden können. Diese Schnittstelle werden die Konsumenten außerdem mehr und mehr dazu nutzen, spezialisierte Inhalte herunterzuladen. Manche dieser Angebote werden kostenlos sein und sich über Werbung in der Applikation finanzieren.
Telecom Handel: Verlieren die Kunden bei kostenlosen Angeboten nicht das Gefühl für den Wert dieser Services?
Naddell: Letztendlich ist der Qualitätsstandard, den die Kunden erwarten, der ausschlaggebende Faktor für uns. Rund ein Viertel der 4.000 Navteq-Mitarbeiter weltweit sind ausgebildete Geoanalysten oder Kartografen. Die sorgen dafür, dass das Qualitätsniveau so hoch bleibt, wie es ist.
Telecom Handel: Für die beschriebenen Anwendungen werden immer mehr Informationen über das Straßen- und Wegenetz benötigt …
Naddell: Deshalb erhöhen wir seit Jahren stetig die Anzahl der Attribute, die einem einzelnen Straßenabschnitt zugeordnet werden. Momentan erheben unsere Teams für jedes Teilstück einer Straße 260 verschiedene Attribute. Das sind zum Beispiel: Handelt es sich um eine Einbahnstraße? Welche Geschwindigkeitsbeschränkung gilt? Gibt es ein Gewichts- oder Höhenlimit?

"Fast grenzenlose Möglichkeiten"

Telecom Handel: Genau diese Attribute sind bei Lkw-Navigatoren wichtig, bislang nutzen aber nur wenige Firmen entsprechende Lösungen. Wird sich das in absehbarer Zeit ändern?
Naddell: Ich bin zuversichtlich, dass Lösungen für Flottenmanagement schon bald verstärkt zum Einsatz kommen werden. Wenn die Entscheidungsträger in den Unternehmen einmal die Vorteile solcher Dienste wie Sprit- und Zeitersparnis erkannt haben, dann werden sie diese auch einsetzen wollen. Momentan steht die Telematik aber noch am Anfang.
Telecom Handel: Wie werden sich Navigationsanwendungen in den kommenden zehn Jahren verändern?
Naddell: Es ist sehr schwer, einen Blick in eine so weit entfernte Zukunft zu wagen. Zum Vergleich: Mein erster Computer hatte damals 20 Megabyte Speicher, und ich dachte, mehr Speicher werde nie jemand benötigen. Heute haben kleine Handhelds eine Speicherkapazität von mehreren Gigabyte und bieten Platz für Fotos, Musik oder sogar das Kartenmaterial von ganz Europa! Mit Blick auf die Zukunft kann man nur feststellen, dass es für Anbieter wie Navteq leichter werden wird, Kartenmaterial zu sammeln. Genauso werden die Kunden leichter Zugang zu diesen Daten haben, sei es für die Fußgängernavigation oder für den Gebrauch im Fahrzeug. Außerdem erhalten wir schon jetzt immer mehr Feedback von Autoherstellern und Smartphone- und PND-Entwicklern, die uns genau sagen können, was die Leute auf der Straße tatsächlich wollen. Und darauf kommt es schließlich am meisten an.




Das könnte Sie auch interessieren