Test Nokia N900 11.01.2010, 12:11 Uhr

Große Leistung im großen Format

Nokia bringt das erste Smartphone mit dem neuen Linux-basierten Betriebssystem Maemo – Das N900 glänzt mit einem schnellen
Prozessor und viel Ausstattung – Kurze Akkulaufzeiten und üppige Dimensionen stören im täglichen Einsatz
Verabschiedet sich der weltgrößte Smartphone-Hersteller möglicherweise vom seit Jahren benutzten Betriebssystem Symbian? Diese Frage wurde im letzten Jahr aktuell, als Nokia erste Telefone mit dem Linux-basierten Maemo ankündigte, das bisher nur in den weniger erfolgreichen Web-Tablets der Finnen zum Einsatz kam. Mit dem N900 kam zur Jahreswende das erste Produkt in die Shops, vom Hersteller selbst etwas schwammig als „Mobile Internet Device“ klassifiziert, von seinen Charakteristika her aber eigentlich ein Smartphone, das den Symbian-Modellen von Nokia durchaus Konkurrenz macht. Mit immerhin 599 Euro ist es im oberen Preissegment positioniert und lässt entsprechend bei der Ausstattung kaum Wünsche offen.
Über die Dimensionen des idealen Smartphones gehen die Meinungen immer wieder auseinander: Den einen können Tastatur und Display gar nicht groß genug sein, während andere es durchaus schätzen, wenn ein solches Gerät noch taschentauglich ist. Nokia beantwortet die Frage nach der Größe beim neuen „Multimedia Computer“ N900 eindeutig großzügig: Das Smartphone wiegt stolze 181 Gramm und schlägt auch bei den Abmessungen fast alle Konkurrenten – am ehesten ist es noch mit dem T-Mobile G1 vergleichbar.
Die üppigen Dimensionen und das hohe Gewicht fallen im täglichen Einsatz natürlich negativ auf. Das N900 passt aber noch in – etwas größere – Taschen.
Das Design des Smartphones ist nordisch kühl: Die Hülle präsentiert sich in schwarzem Klavierlack und viel Kunststoff, der aber – bis auf den dünnen Akkudeckel – hochwertig wirkt. Der Mechanismus des seitlich ausziehbaren Sliders für die Tastatur ist leichtgängig und solide. Ein netter Gag ist der ausklappbare Rahmen der Kameralinse, der das Handy zum Betrachten von Filmen in einem Winkel von ungefähr 40 Grad aufstellt. Praktisch sind auch der Standard-Headset-Anschluss, der Schutz der Kameralinse und ein Sperrschalter am Gehäuse.
Als Herzstück kommt im N900 ein schneller ARM-Prozessor mit 600 MHz zum Einsatz, der zudem von einem Grafikprozessor unterstützt wird. Diese Technik-Combo macht das Gerät zu einem der schnellsten am Markt: So kann der Anwender ohne Probleme mehrere Anwendungen gleichzeitig offen lassen und echtes Multitasking erleben, bei dem die Programme in kleinen Fenstern parallel laufen. Sogar das „Hochfahren“ erfolgt viel schneller als zum Beispiel beim Symbian-Bruder N97.

Test Nokia N900: Große Leistung im großen Format

Ansonsten zeigt sich die Maemo-Oberfläche nicht grundlegend anders als die anderer Touchscreen-Handys und Betriebssysteme. Dem Anwender stehen diverse Icons für Schnellzugriffe zur Verfügung, die auf vier per Finger schiebbare Startbildschirme verteilt werden. Dazu gibt es ein übersichtliches Hauptmenü, das Nokia nicht mit Icons überfrachtet hat. Optisch wirkt das Ganze sehr ansprechend und regt den Anwender zum Ausprobieren an. Eine gute Idee ist auch die auf dem Gerät vorinstallierte Bedienungsanleitung mit integrierter Suchfunktion, die sich im Ordner für Dokumente über den Dateimanager finden lässt.
Etwas lästig ist allerdings, dass außer dem Wählfeld des Telefons und des Adressbuchs alle Menüs grundsätzlich quer angezeigt werden müssen. Die Bedienung des großen Telefons mit einer Hand ist so kaum möglich. Ebenfalls irritierend: Nokia hat nur wenige Situationsprofile vorinstalliert und die SMS-Funktion tief in den Menüs versteckt. Eine MMS-Funktion haben wir gar nicht gefunden, offenbar wollen die Finnen, dass der Anwender vorwiegend ihr – durchaus gut gestaltetes – E-Mail-Programm zum Versand von Bildern verwendet.
Eine wichtige Bedingung für den Erfolg des neuen Betriebssystems dürfte die schnelle und umfangreiche Verfügbarkeit von Applikationen sein. Während der Nokia-eigene Ovi-Store erst demnächst passende Software für das N900 bereithalten wird, gibt es unter http://maemo.org immerhin rund 100 kostenlose Programme zum Download, die teilweise das große Potenzial des N900 erahnen lassen.
Gezeigt wird die multimediale Pracht auf einem sehr großen Display mit 9,1 Zentimetern Diagonale und einer Auflösung von 800 x 480 Pixeln, die sogar noch höher als VGA ist. Die Anzeige ist auch sehr hell und selbst für Filme geeignet, wobei sie bei häufiger Inanspruchnahme den Akku entsprechend belastet. Für die Bedienung des gut reagierenden resistiven Touchscreens gibt es einen Stift am Gehäuse, der aber selten gebraucht wird, da die meisten Schaltflächen groß genug dargestellt werden. Gegeizt haben die Finnen nur mit Tasten, denn das N900 hat keine Ruftasten auf dem Gehäuse, und auch spezielle Tasten zur Navigation durch die Menüs oder zumindest zum Aufruf des Hauptmenüs fehlen auf der ausziehbaren QWERTZ-Tastatur.
Diese ist zwar ausreichend groß dimensioniert, die Bedienbarkeit leidet aber unter der schlecht zu drückenden oberen Reihe, die zu nah am Gehäuse sitzt. Platz genug wäre eigentlich vorhanden, da das Tastenfeld gerade einmal die Hälfte der Fläche der Oberseite einnimmt und einfach nicht weit genug herausgezogen wird.

Test Nokia N900: Große Leistung im großen Format

Die Feature-Liste des Smartphones lässt dagegen kaum Wünsche offen. Es gibt alle möglichen Formen der Anbindung an die Außenwelt wie HSDPA, HSUPA, EDGE, Bluetooth und WLAN, wobei der Zugang zum Internet noch durch einen schnellen und gut per Finger zu bedienenden Browser erleichtert wird. Sehr schön ist auch die Möglichkeit, mehrere Internetseiten parallel zu öffnen und zwischen ihnen zu wechseln.
Für die Navigation stehen ein A-GPS-Empfänger und Ovi Maps zur Verfügung. Der Arbeitsspeicher ist mit einem Gigabyte großzügig bemessen. Mit 32 Gigabyte ist zudem sehr viel Speicher für die Daten des Anwenders vorgesehen. Falls das nicht reicht, gibt es noch einen MicroSD-Slot unter dem Akkudeckel.. Die Kamera hat eine eher durchschnittliche Auflösung von fünf Megapixeln, macht aber dank einer Zeiss-Optik recht gute Bilder. Der doppelte LED-Blitz ist zudem schön hell. Der Schwachpunkt des N900 ist der Akku: Nokia gibt – anders als bei anderen Geräten seines Portfolios – kaum Laufzeiten an, im alltäglichen Einsatz kamen wir auf kaum mehr als einen Tag mit einer Akkuladung. Bei starker Nutzung der Multimedia-Funktionen reduzierte sich das noch weiter.
Diese Kurzatmigkeit und die üppigen Dimensionen machen den Maemo-Pionier N900 nur bedingt alltagstauglich. Wen das nicht stört, der bekommt ein extrem schnelles Multimedia-Smartphone mit toller Technik und vielen guten Ideen. Man darf gespannt sein, mit welchen Produkten Nokia das Thema Maemo in diesem Jahr weiter in den Markt bringen wird. Das Potenzial für einen Erfolg ist auf jeden Fall vorhanden.




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