Dreistes Handy-Plagiat aus China im Test 21.12.2009, 08:00 Uhr

iPhone für Arme

Telecom Handel hat eine dreiste Apple-Kopie aus China zum sensationellen Preis ergattern können. Lesen Sie hier den großen Testbericht von Telecom Handel-Redakteur Boris Boden. Sein Fazit: "Erstklassige Optik, aber dubioses Innenleben."
Es soll ja Leute geben, die ein iPhone vor allem brauchen, um es abends auf die Theke in der Szenebar zu legen. Die rund 500 Euro, die selbst ein gebrauchtes Gerät aktuell noch kostet, sind viel Geld für ein Statussymbol, und kaputte Hüllen ohne Innenleben gibt es noch nicht so viele. Helfen kann der Chinese, der gerne mal was kopiert und damit sogar seine Anerkennung fürs Original ausdrücken möchte. Ging diese früher meist an die Firma Rolex, kann sich heute Steve Jobs über ganz viele Fans in China freuen.
Der erste Eindruck
Denn kaum war das iPhone erschienen, machten sich die ersten Bastler ans Werk, die zunächst eher krude Kopien brachten. Heute werden die iPhone-Klone offenbar industriell hergestellt und sind auf den ersten Blick kaum noch vom Original zu unterscheiden. Auch wir konnten der Versuchung nicht widerstehen und haben bei Herrn Lin Long in Shenzhen ein iPhone erworben. Nach längeren harten Verhandlungen hat sich der sympathische Kleinkapitalist von 60 auf 44 Euro herunterhandeln lassen.
Für diesen Preis gibt es sogar eine Schachtel, die der des Originals sehr ähnlich sieht und von einem AT&T-Pressefoto des iPhone geziert wird. Beeindruckend sind auch das Zertifikat, dass dieses Handy wie „alle chinesischen Handys“ die Qualitätskontrolle passiert hat und die universell gültige Bedienungsanleitung, die sich nicht mit störenden Eigenheiten einzelner Modelle aufhält. Doch das alles ist nichts gegen das Telefon: Es sieht wirklich aus wie ein iPhone und liegt sehr ähnlich in der Hand. Auf der Rückseite prangt ein Apple-Symbol, das sich allerdings bei festerer Berührung sofort verabschiedet. Besonders aufschlussreich ist der Schriftzug „32 GB, 10.0 Megapixels, GPRS, JAVA, TVPhone“ auf der Rückseite, dessen Wahrheitsgehalt eher begrenzt ist, wie sich im weiteren Test zeigen sollte.

Dreistes Handy-Plagiat aus China im Test: iPhone für Arme

Gleich vier Dinge hat das China-Phone dem Original voraus: Es gibt einen Stift am Gehäuse, was daran liegt, dass der Touchscreen nicht kapazitiv ist, sondern nur auf (kräftige) Berührungen reagiert. Außerdem ist der Akkudeckel abnehmbar und der Kraftspender austauschbar. Darunter befinden sich sogar Slots für zwei SIMKarten, die parallel betrieben werden können. Schließlich gibt es noch einen MicroSD-Steckplatz, den das Original ebenfalls vermissen lässt.
Wer jetzt langsam in Kauflaune kommt, sollte das Handy zur Ernüchterung auch mal einschalten: Denn während die erste Menüebene mit genau kopierten Icons und der Bildschirmschoner auf den ersten Blick noch ans iPhone erinnern, geht es danach wild weiter. So lässt sich der Startbildschirm mit dem Finger zur Seite schieben und gibt nicht weniger als zehn weitere Screens voller Icons frei, von denen manche sogar funktionieren. Bei den meisten Programmen, die offenbar per Java-Engine laufen, ist das Icon aber inaktiv oder produziert nur eine Reihe chinesischer Schriftzeichen. Immerhin kann das Telefon ganz normal genutzt werden und auch Einstellungen lassen sich irgendwie vornehmen, da nicht alles chinesisch, sondern teilweise auf Englisch ist.

Dreistes Handy-Plagiat aus China im Test: iPhone für Arme

Nur zwei statt 32 GB Speicher
Leider hält die Ausstattung kaum, was die Ankündigung verspricht: Statt 32 GB Speicher haben wir nur zwei GB gefunden, der Fernseh- und Radioempfang muss wohl in der Phantasie des Anwenders erfolgen und die Kamera erreicht nicht zehn Megapixel, sondern nur VGA-Auflösung. Dabei sind die Bilder so mies, dass sie fast schon an Aktionskunst erinnern. Wenigstens dient das Handy dank des Fotolichts als Taschenlampe. Das belastet allerdings den Akku, der bei wenig Nutzung des Displays schon mal ein paar Stunden hält, ansonsten aber kaum für den langen Marsch geeignet ist.
Auch der Touchscreen lässt zu wünschen übrig, da er nur nach heftigem Druck reagiert und zudem einige winzige Schaltfelder hat. Ein Highlight ist dagegen die SMS-Eingabehilfe, die Buchstaben in eine Auswahl hübscher Schriftzeichen umsetzt. Am Ende kann die Kopie optisch durchaus gefallen und erreicht einen hohen Angeberfaktor zu einem unschlagbaren Preis. Technisch ist das Ganze ungefähr fünf Jahre zurück.




Das könnte Sie auch interessieren