Vodafone-Interview 24.09.2013, 14:27 Uhr

"Wer die Trends verpennt, verliert"

Die Einführung des neuen Franchise-Partnermodells hat bei den Vodafone-­Agenten für viel Wirbel und Aufregung gesorgt. Telecom Handel hat bei der Privatkunden-Vertriebschefin Susan Hennersdorf nachgefragt, welche Strategie sie aktuell verfolgt und welche konkreten Maßnahmen vorgesehen sind.
Telecom Handel: Sie haben in den letzten Monaten von ihren Franchisepartnern viel Kritik für das neue Partnermodell einstecken müssen, so mancher Händler verweigert noch immer die Unterschrift unter dem neuen Vertrag…
Susan Hennersdorf: Ohne konstruktive Kritik gibt es keine Weiterentwicklung, keinen Wandel. Fakt ist: Wir müssen uns wandeln. Wir stehen im stationären Handel nicht mehr nur vor evolutionären Schritten, sondern vor einer echten Revolution. Der Markt verändert sich derzeit massiv: Wer da die Trends verpennt, wandelt oder missdeutet, ist schon der Verlierer. Und wer versucht, ein veraltetes System zu konservieren, wird damit scheitern. Das alte Franchise-System, wie wir es bisher lebten, ist nicht mehr zeitgemäß.  
Wie stellen Sie sich das Franchisesystem bei Vodafone denn dann zukünftig vor?
Hennersdorf: Wir brauchen unternehmerische Agilität und vorausschauende Investitionen. Viele unserer Partner gehen bereits mit bestem Beispiel voran. In solche Partnerschaften investieren wir. Wir investieren in Shopdesign und Ausstattung, in neue Provisionsmodelle und in die Bestandssicherung. So unterstützen wir unsere Partner beim Aufbau und der Entwicklung, bei der Ausbildung der Mitarbeiter, der Betreuung der Standorte und mit Steuerungsprozessen und –Systemen. Aber bevor ich hier ins Detail gehe, lassen Sie mich kurz über die Trends sprechen, auf die sich der stationäre Vertrieb unserer Ansicht nach heute grundsätzlich einstellen muss. Als erstes ist da das Thema Erlebniswelt am PoS…
… ein Thema, das Sie mit Ihren neuen Vodafone Stores, also den neuen Filialen ja bereits aufgreifen…
Hennersdorf: Richtig. Zunehmend sehen wir Kunden, die das ultimative Erlebnis, aber auch umfangreiche Beratung und Service nachfragen. All dies findet der Kunde heute immer weniger auf dem Land, es zieht ihn eher zu den Einkaufsmeilen in den Metropolen. Wir sehen das an einer Verschiebung der Umsätze von den ländlichen Regionen hin zu den Städten. Dort verzeichnen wir besonders in den Toplagen große Zuwächse.
Zweitens gibt es heute Produkt-, Netz- und Tarif-Innovationen quasi im Monatstakt. Der Verkaufsstart eines Top-Produkts wie etwa dem iPhone ist heute wichtiger als das Weihnachtsgeschäft und löst nicht nur Kaufinteresse, sondern auch Zahlungsbereitschaft aus.  Es ist eine große Herausforderung, die vielen Produkt- und Tarifinnovationen entsprechend in Frequenz und Umsatz umzuwandeln.
Das dritte große Thema ist die digitale Revolution. Diese hat vor allem Auswirkungen auf die Preistransparenz. E-Commerce verändert massiv, wie man eigentlich beim Pricing vorgeht.

Mehr Flagship Stores

Dass der stationäre Vertrieb, insbesondere der Fachhandel, mit den billigsten Web-Anbietern preislich mithält, kann ja kaum die Konsequenz daraus sein, oder?
Hennersdorf: Das Besondere am stationären Vertrieb ist: Er kann im Vergleich zum Online-Kanal Preise regional aussteuern. Das ist auch grundsätzlich sinnig. Die Kaufbereitschaft und das Preisniveau sind etwa in Mecklenburg-Vorpommern nun einmal anders als in München. Regionales Pricing, ein Haupthebel zur Margensicherung im stationären Kanal, muss nun völlig neu definiert werden.
Wie stellen Sie sich das vor?
Hennersdorf: Wenn der regionale Spielraum durch die Preistransparenz im Netz kleiner wird, muss man die Pricing-Einheit verkleinern. Das Stichwort lautet ‚Private Pricing‘. Wir müssen die Standorte befähigen, Kunden individuelle Angebote zusammenzustellen. Natürlich ist das eine große Herausforderung an die Systemtechnik. Aber es ist auch eine Chance für den stationären Vertrieb. Der Kunde wird lernen, dass er im stationären Vertrieb viel größere Preisspielräume aushandeln kann als im Web.
Aber Kunden, die im Shop nach Rabatten fragen, gibt es doch schon heute genug…
Hennersdorf: Es soll ja auch nicht zugehen wie auf einem Basar. Es geht eher darum, kundenindividuelle Antworten auf unterschiedliche Zahlungsbereitschaften und regionale Kaufkraft zu finden. Im Versandhandel oder im Telemarketing ist eine solche Systematik schon lange üblich.
Hinzu kommt noch der vierte wichtige Trend: Wir erleben Verdrängung. Das drückt Preise und Margen. Der Markt ist aufgeteilt. Dem Bestandskundenmanagement kommt jetzt eine ganz andere Bedeutung zu als früher, auch in den stationären Kanälen.
Welche Auswirkungen werden die vier Trends nun auf Ihre Vertriebsstruktur haben?
Hennersdorf: Es wird massive Auswirkungen haben. Um bei den eigenen Filialen zu beginnen: Hier hat das alte System ausgedient: Wir brauchen neue und andere Shops. Eine Säule sind die Flagship-Stores. Unser Pilot-Flagship-Store in Köln, den wir letztes Jahr eröffnet haben, zeigt, wohin die Reise geht. Dort verzeichnen wir 15 Prozent mehr Umsatz, vier Mal mehr Umsatz mit Neukunden und zweieinhalb mal mehr Besucher als in einer Durchschnittsfiliale. Weitere Stores dieser Art werden 2014 in Hamburg, München und voraussichtlich 2016 in Düsseldorf eröffnet. Insgesamt sehen wir ein Potenzial von zehn bis zwölf Flagship-Stores in Deutschland. 

100 Shops sollen umgebaut werden

Auf der IFA hatten Sie zudem neue ‚Vodafone Stores‘ angekündigt…
Hennersdorf: Diese ‚Red City Stores‘ oder ‚Mini-Flagship-Stores‘, wie wir sie intern nennen, sind die zweite Ebene unseres Kundenerlebnisses. Für uns sind das Points of Sales and Service, kurz PoSS. Entsprechend gibt es dort auch eine Unterteilung in einen Erlebnis- und einen Servicebereich. Die Kunden können dort kommerzielle, technische und Netzinnovationen testen und hautnah erleben –auch solche, die wir noch nicht flächendeckend ausgebaut haben. Die Stores werden zu echten ‚Speed-Zonen‘, mit eigenem LTE-CAT 4-Netz mit bis zu 150 MBit/s, Voice-HD und vielen weiteren Neuerungen.
Sie haben angekündigt, 100 Shops entsprechend umzubauen. Was passiert mit den restlichen Filialen?
Hennersdorf: Heute haben wir fünf solcher Vodafone Red City Stores am Netz: In Kiel, Lübeck, Fürth, Aschaffenburg und Chemnitz. Bis Ende des Geschäftsjahres werden es 30 sein. Das sind alles ehemalige Vodafone-Filialen, die die Standortkriterien für einen Vodafone Red City Store bereits erfüllen. Die meisten weiteren Standorte werden wir mit besonderen Ansprüchen an Fläche und Lage gezielt suchen. Dies tun wir hauptsächlich in Großstädten.
Bedeutet dies, dass im Gegenzug viele bisherige Filialen geschlossen werden?
Hennersdorf: Wir werden das Filialsystem an die neuen Standortkriterien anpassen müssen. Die neuen Shops sind größer und werden im Schnitt 30 Prozent mehr Mitarbeiter benötigen. Das wird also auf die Zahl unserer Angestellten keinen Einfluss haben. Heute betreiben wir noch etwa 215 Shops, langfristig werden es rund 150 eigene Filialen sein, inklusive der Flagship-Stores.
Was steht dann den Franchisenehmern bevor? Sie sprachen ja schon von massiven Umwälzungen. Gehen diese noch weiter als bisher angekündigt?
Hennersdorf: Früher waren unsere Partneragenten die Treiber der Expansion in unserer Industrie. Sie dominierten die Neuakquise. Heute müssen sie zunehmend den Bestand sichern. Bestandssicherung heißt nicht mehr und nicht weniger als ein homogenes, herausragendes Vodafone Kundenerlebnis flächendeckend sicherzustellen. Dies stellt neue Aufgaben an uns und auch an den Partneragenten.
Welche sind das?
Hennersdorf: Wir brauchen Betreiber, die in der Lage sind, gleiche Standards in hoher Qualität und Geschwindigkeit umzusetzen.
Was bedeutet das ganz konkret? Werden Sie die Zahl Ihrer Partner weiter reduzieren? Was fordern Sie von den Partnern?
Hennersdorf: Wir haben viele unternehmerische und agile Partner, die die neuen Rahmenbedingungen antizipieren und vorausschauend investiert haben. Und die auch weiterhin investieren werden. Denken Sie an Mehrfachbetreiber.

Abkehr vom bisherigen Prinzip

Das wäre ja eine totale Abkehr vom jetzigen Prinzip. Bislang war Vodafone ja eher restriktiv, was Mehrfachbetreiber angeht…
Hennersdorf: In expansiven Phasen ist das auch richtig so. Es ging bisher um die Sicherung von Standorten und die Distributionsdichte. Heute geht es zunehmend um Bestandssicherung.
Warum wollen Sie auf Mehrfachbetreiber setzen?
Hennersdorf: Wir haben festgestellt, dass Franchisepartner, die mehrere Shops betreiben, im veränderten Umfeld deutlich erfolgreicher agieren als Einzelstandortbetreiber.  Mehrfachbetreiber haben ihre eigene Infrastruktur, oft ein eigenes Call-Center, ein Back-Office, einen eigenen Außendienst – und damit eine viel höhere Schlagkraft, um Veränderungen an ihren Standorten umzusetzen. Und wir können wiederum unsere Themen beispielsweise durch ein regionales Key-Account-Management sehr viel effektiver an die Betreiber weitergeben. Mit 1.200 Einzelstandorten ist das sehr viel schwieriger.
Und die kleineren Partner fallen demnach durch das Raster?
Hennersdorf: Nein. Wir unterstützen die Entwicklung unserer Betreiber durch entsprechende Betreuung, Coachings und unser regionales Key-Account-Management. Und wir investieren in solche Partnerschaften, beispielsweise in Shop-Ausstattung, IT, Provisionierungssystem und Bestandsmaßnahmen.
Letztlich brauchen Sie langfristig dann aber nur noch 300 oder 400 Partner…
Hennersdorf: Wir haben keine dogmatische Zahl im Kopf. Wir sprechen hier über eine langfristige Veränderung, nicht über die ideale Shop-Anzahl pro Betreiber oder über die Gesamtzahl der Partner. Die Auswahl und Entwicklung unserer Betreiber ist stets eine regionale Einzelfallprüfung. Das geht nicht über Nacht. Wie viele Partner es am Ende sein werden, können wir heute noch nicht sagen.
Wie viele Standorte sollte ein Partner nach Ihrer Planung zukünftig haben?
Hennersdorf: Letztlich hängt dies von der Fähigkeit, der Struktur und auch vom Wunsch des Partners ab.
Und wie sollen die Partneragenten, die weitere Shops eröffnen wollen, an neue Standorte kommen?
Hennersdorf: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Partner können selbst geeignete Standorte entdecken. Außerdem konsolidieren wir ja die Anzahl unserer Filialen auf größere Standorte. So werden Standorte in attraktiven Lagen frei für Partner.

"Der Fachhandel ist das Sammelbecken für Neukunden"

Wenn sich die Franchisepartner gezielt um die Bestandskunden kümmern sollen, welche Aufgabe bleibt dann für den Fachhandel?
Hennersdorf: Fachhandel ist Wettbewerb pur. Markenexklusivität gibt es hier nicht. Das ist auch eine Riesen-Chance.
Inwiefern?
Hennersdorf: Der Fachhandel ist das Sammelbecken für Neukunden. Hier liegt das Wachstumspotenzial: Im Fachhandel ist unsere Kategorie – die Telekommunikation – noch auf dem Vormarsch.  Deshalb werden wir auch massiv in den Fachhandel investieren.
Welche Maßnahmen schweben Ihnen hier vor?
Hennersdorf: Unser Ziel ist es, die regionale Standort-Betreuung im traditionellen Fachhandel massiv zu intensivieren. Wir müssen die Betreuung stärker an den spezifischen Bedürfnissen dieser Partner ausrichten. Und wir müssen die Betreuung bei Fachhandelsformaten mit nationalem Fokus um zentrale Vermarktungsstandards, die ein homogenes Kundenerlebnis garantieren, ergänzen. Gefordert ist eine Mischung aus zentraler Steuerung und regionaler Betreuung.
Bislang war für Vodafone Exklusivität im Fachhandel kein großes Thema – anders als etwa bei der Telekom. Könnte sich hier etwas ändern?
Hennersdorf: Exklusivität im Fachhandel ist ein Widerspruch. Wir schaffen unternehmerische Agilität im Fachhandel – und diese sieht Wettbewerb vor. Hinzu kommt, dass Exklusivitätsvereinbarungen ähnlich einer staatlichen Subvention und Transferleistung sind. Sie sichern ab, aber bieten keinen Anreiz, sich marktgerecht weiterzuentwickeln. Ich bin absoluter Fan von Marktanteilsvereinbarungen, gerne auch über Fair Share hinaus.
Noch eine persönliche Frage: Wird Ihnen angesichts der revolutionären Umwälzungen, die sie vorhaben, nicht selbst ein wenig Bange?
Hennersdorf: Kann es etwas Schöneres geben, als eine industrielle Wandlung mitzugestalten? Retail ist Detail und ganz viel Leidenschaft. Das ist auch meine persönliche Leidenschaft. Vertriebliche Agilität, die jetzt gefordert ist, ist ja ein echtes Vodafone-Gen. Insofern fühlen wir uns gut vorbereitet auf das, was da passiert. Wir sind überzeugt, dass wir die richtigen Konzepte und die richtige Strategie haben und die richtigen Maßnahmen treffen.




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