KPMG-Studie
09.10.2025, 09:54 Uhr
Digitalisierung entscheidet über Erfolg im Handel
Omni-Channel ist Pflicht, nicht Kür: Eine Branchenstudie zeigt, wie sich Kundenerwartungen und Geschäftsmodelle im Einzelhandel fundamental wandeln. Auch ITK-Fachhändler und Systemhäuser müssen sich auf neue Anforderungen einstellen.
Die Digitalisierung krempelt den deutschen Einzelhandel radikal um. Das ist das zentrale Ergebnis der Studie „Trends im Handel 2025“, die KPMG gemeinsam mit dem EHI Retail Institute, dem Handelsverband Deutschland (HDE) und Kantar TNS vorgelegt hat. Über tausend Konsumenten wurden zu ihrem Einkaufsverhalten befragt – mit eindeutigen Ergebnissen: Der Kunde von morgen erwartet digitale Services in allen Kanälen und entscheidet selbst, wo, wann und wie er kauft.
Die Zahlen belegen den Strukturwandel eindrucksvoll: Der Onlinehandel hat in Deutschland mittlerweile einen Marktanteil von rund zehn Prozent erreicht. Die tausend größten Onlineshops erwirtschafteten 2015 einen Nettoumsatz von 35,5 Milliarden Euro. Dabei zeigt sich eine deutliche Marktkonzentration: Die zehn umsatzstärksten Anbieter vereinen bereits über vierzig Prozent des Geschäfts auf sich. An der Spitze steht Amazon mit 7,8 Milliarden Euro Umsatz, gefolgt von Otto mit 2,3 Milliarden Euro.
Stationärer Handel investiert auf Rekordniveau
Trotz oder gerade wegen des Onlinebooms investiert der stationäre Handel massiv in seine Verkaufsflächen. 6,8 Milliarden Euro flossen 2013 allein in Deutschland in Aus-, Um- und Neubau von Geschäften – 700 Millionen Euro mehr als vier Jahre zuvor. Die Botschaft ist klar: Attraktive Läden sind das beste Mittel gegen die Internetkonkurrenz. Gleichzeitig verkürzen sich die Renovierungszyklen von durchschnittlich neun auf 7,8 Jahre.
Die Studie zeigt aber auch: Der Gegensatz zwischen online und stationär löst sich auf. Mehr als die Hälfte der tausend größten Onlineshops verfügt bereits über stationäre Geschäfte. Umgekehrt eröffnen reine Onlinehändler wie Zalando oder Amazon zunehmend physische Läden. Die Verknüpfung beider Welten wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Unternehmen, die eine Multi-Channel-Strategie verfolgen, wachsen deutlich stärker als Single-Channel-Anbieter.
Digitale Services werden vorausgesetzt
Die Erwartungen der Kunden an digitale Angebote steigen dramatisch. Bereits heute setzt die Hälfte der Befragten voraus, dass Händler einen eigenen Onlineshop betreiben und Warenbestände online einsehbar sind. Künftig rechnen bis zu achtzig Prozent damit. Besonders hoch sind die Anforderungen in den Bereichen Elektrogeräte und Baumarktartikel – Branchen, die dem ITK-Handel nahestehen.
Omni-Channel-Konzepte wie „Online reservieren und im Geschäft abholen“ oder „Im Laden kaufen und nach Hause liefern lassen“ stoßen branchenübergreifend auf großes Interesse. Die Studie belegt: Diese Services sind keine nette Zugabe mehr, sondern werden als Standard erwartet. Händler, die hier nicht liefern, verlieren Kunden.
Interessant ist die Zielgruppenanalyse: Besonders aufgeschlossen gegenüber digitalen Services zeigen sich Männer, Konsumenten unter vierzig Jahren und Haushalte mit höherem Einkommen. Gerade die Generation der „Digital Natives“ – junge Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind – tritt verstärkt als kaufkräftige Gruppe in Erscheinung und treibt den Wandel voran.
Bezahlen bleibt konservativ
Beim Bezahlen gibt sich der deutsche Kunde dagegen traditionsbewusst. Drei Viertel der Befragten möchten auch künftig sowohl bar als auch mit EC- oder Kreditkarte zahlen können. Gegenüber dem Bezahlen mit dem Smartphone herrschen massive Sicherheitsbedenken. Auch Anreize wie die Verknüpfung mit Bonusprogrammen können diese kaum ausräumen. Männer und jüngere Konsumenten zeigen sich zwar offener für mobile Bezahlverfahren, aber selbst in diesen Gruppen bleibt die Skepsis hoch.
Qualität schlägt Preis
Ein überraschendes Ergebnis der Studie: Die reine Preisorientierung ist gegenüber 2011 deutlich zurückgegangen. Stattdessen gewinnen Qualitätsaspekte an Bedeutung. Auch Herstellermarken werden wieder wertiger eingeschätzt als Handelsmarken. Gleichzeitig bleibt das direkte, persönliche Einkaufen im Laden für drei Viertel der Konsumenten wichtig – gute Nachrichten für den stationären Fachhandel.
Allerdings ist das Vertrauen in Produktbewertungen von anderen Konsumenten gesunken. Die Händler selbst werden dagegen als vertrauenswürdige Informationsquelle für Herkunft und Erzeugung von Produkten besser bewertet als noch vor fünf Jahren. Fachkompetenz und Beratung zahlen sich also aus.
Herausforderung Infrastruktur
Die Studie mahnt zugleich massive Investitionen in die digitale Infrastruktur an. Flächendeckende Breitbandversorgung mit mindestens fünfzig Megabit pro Sekunde ist Grundvoraussetzung für die Digitalisierung. Ohne leistungsfähige Netze können weder Händler digitale Vertriebswege nutzen noch Kunden Online-Services in Anspruch nehmen. Selbst Basistechnologien wie Kartenzahlung und E-Mail-Kommunikation funktionieren in Teilen Deutschlands aufgrund schlechter Netzanbindung nicht zuverlässig.
Bedeutung für ITK-Handel und Systemhäuser
Für den ITK-Fachhandel und Systemhäuser ergeben sich aus der Studie konkrete Handlungsfelder. Die Integration von Kassensystemen, Warenwirtschaft, Onlineshops und Logistikprozessen wird zur zentralen Aufgabe. Datenschutz, Zahlungssysteme und die sichere Verknüpfung verschiedener IT-Systeme bieten erhebliches Geschäftspotenzial. Die Studie macht auch deutlich: Die Zukunft gehört nicht dem Onlinehandel oder dem stationären Geschäft – sondern der intelligenten Verschmelzung beider Welten.
Die vollständige Studie zeigt darüber hinaus, dass demografischer Wandel, technische Entwicklung und verändertes Kundenverhalten den Handel vor grundlegende strategische Fragen stellen. Wachstum ist künftig weniger durch steigende Umsätze, sondern vor allem durch Effizienzgewinne und bessere Kundenbindung zu erreichen. Data Analytics, Künstliche Intelligenz und flexible Wertschöpfungsketten werden zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren. Der Handel steht vor der größten Transformation seit Einführung der Selbstbedienung – und die Digitalisierung ist dabei der entscheidende Treiber.