Digitale Souveränität
15.12.2025, 10:29 Uhr
"Wir müssen das Thema selbst in die Hand nehmen"
Deutschland muss unabhängiger von Soft und Hardware aus Asien und den USA werden. Telecom Handel sprach über die digitale Souveränität mit Christine Knackfuß-Nikolic, Chief Sovereignty Officer T-Systems.
(Quelle: Deutsche Telekom AG)
Die Weltlage zwingt Europa und Deutschland dazu, weniger abhängig von Technologie aus Asien und den USA zu werden. Telecom Handel sprach über die digitale Souveränität mit Christine Knackfuß-Nikolic, Chief Sovereignty Officer T-Systems.
Viele Menschen haben nur eine diffuse Idee, was der viel diskutierte Begriff
digitale Souveränität bedeutet. Wie definieren Sie das?
digitale Souveränität bedeutet. Wie definieren Sie das?
Christine Knackfuß-Nikolic: Ich glaube, viele Menschen können sich grob vorstellen, was es bedeutet. Wir als Telekom verstehen Souveränität als Wahlfreiheit. Also die Freiheit zu entscheiden, mit welchen Anbietern Unternehmen zusammenarbeiten möchten. Und, wenn derKontext nicht mehr passt, dann auch unkompliziert wechseln zu können. Das ist die Technologieseite. Dann gibt es die Datenseite: Hier definiert der Begriff die
Wahlfreiheit, dass die Eigentümer der Daten auch die Datenhoheit behalten. Wenn man das Ganze etwas weiter schichtet, gibt es für uns drei Ebenen der Souveränität, die aufeinander aufbauen. Wenn alle drei Level erfüllt sind, hat man das höchste Level der Souveränität.
Wahlfreiheit, dass die Eigentümer der Daten auch die Datenhoheit behalten. Wenn man das Ganze etwas weiter schichtet, gibt es für uns drei Ebenen der Souveränität, die aufeinander aufbauen. Wenn alle drei Level erfüllt sind, hat man das höchste Level der Souveränität.
Die promovierte Betriebswirtin ist seit September 2025 Chief Sovereignty Officer von T-Systems. Zuvor war Christine Knackfuß-Nikolic in der Geschäftsleitung von T-Systems als Chief Technology Officer und als Senior Vice President der Telekom Deutschland GmbH für den Bereich Digital Business & Transformation für den B2B-Sektor tätig.
Quelle: Deutsche Telekom AG
Welche Level sind das?
Knackfuß-Nikolic: Das ist einmal die Datensouveränität: dass der Eigentümer der Daten auch darüber entscheiden kann, wer die Daten sieht und wie sie verwendet werden. Wenn das Datenmanagement der europäischen Rechtsprechung unterliegt, wird der Datenerzeuger meistens mehr geschützt und ihm mehr Kontrolle zugesprochen, als das zum Beispiel nach amerikanischem Recht erfolgt. Dort erhalten meist die Datennutzer mehr Kontrolle. Dadurch entsteht die Situation, dass etwa ein US-Unternehmen, das in Deutschland
tätig ist, Zugriff auf europäische Daten hat. In der Folge können auch Dritte, etwa US-Behörden, unter bestimmten Umständen Einsicht in diese Daten verlangen.
tätig ist, Zugriff auf europäische Daten hat. In der Folge können auch Dritte, etwa US-Behörden, unter bestimmten Umständen Einsicht in diese Daten verlangen.
War es ein Weckruf, dass man plötzlich sieht, was passieren kann, wenn sich der einstige Partner so benimmt?
Knackfuß-Nikolic: Das ist definitiv so. Wir sehen einen großen Wahrnehmungs- und Haltungswechsel im europäischen Markt. In Deutschland haben wir uns letztes Jahr theoretisch über Souveränität unterhalten im Sinne von ‚Man müsste doch ...‘ Es hat jedoch keiner danach gehandelt. Und mittlerweile ist es so, dass wir proaktiv von CDOs und CIOs Anfragen bekommen: ‚Oh, wir haben festgestellt, dass wir in unserem Cloud-Portfolio-Mix eigentlich nur Hyperscaler einsetzen. Wir fragen uns, ob das nicht ein Risiko birgt.‘
Was sind die weiteren Stufen der digitalen Souveränität?
Knackfuß-Nikolic: Die nächste Stufe ist die Betriebssouveränität. Das bedeutet: Kann ich festlegen, wer auf meine IT–Infrastruktur Zugriff hat? Kann ich Zugangsrechte und die entsprechenden Prozesse sowie Abläufe kontrollieren? In der Realität ist das jedoch häufig nicht gegeben. Insbesondere der kürzlich eingetretene Ausfall bei AWS hat deutlich gezeigt, dass zahlreiche Unternehmen in Europa in ihren Betriebsprozessen von den Hyperscalern abhängig sind. Und nicht zuletzt gibt es noch die technologische Souveränität, also bei Software und Hardware. Habe ich Autonomie, weil ich die Software und die Hardware selbst herstelle? Oder habe ich zumindest die Wahlmöglichkeit und die Wechselmöglichkeit zwischen verschiedenen Anbietern, wenn mir die Konditionen nicht mehr passen?
Beim Thema Cloud ist die Souveränität sicher noch am schnellsten zu erreichen?
Knackfuß-Nikolic: Ja, wir als Deutsche Telekom sind schon seit 20 Jahren im Cloud-Markt aktiv und seit 15 Jahren im souveränen Cloud-Markt. Wir haben zum Beispiel unsere Open Telekom Cloud. Das ist eine souveräne Cloud-Lösung mit rund 4.000 Kunden. Diese läuft zuverlässig mit einer hohen Kundenzufriedenheit. Es ist dennoch so, dass viele Kunden dieses Angebot noch nicht kennen. Bis letztes Jahr war dies eher ein Nischenprodukt.
Deshalb dominieren weiter die Hyperscaler den Markt?
Knackfuß-Nikolic: Ein CDO fragt sich in der Regel: ‚Welches Level an Souveränität muss ich erreichen? Wie erhalte ich dafür die höchste Funktionalität zum niedrigsten Preis?‘ Der Anspruch an Souveränität ist dann plötzlich nicht mehr so hoch, und damit ist in der Vergangenheit sehr viel Workload bei den Hyperscalern gelandet.
Das hat einfach Kostengründe?
Knackfuß-Nikolic: Genau. Die US-Unternehmen haben sehr intensiv in ihre Cloud-Umgebung investiert. Sie bieten daher große Skalierbarkeit und Funktionalität zu einem sehr attraktiven Preis. Sie sind aber aus unserer europäischen Sichtweise natürlich nicht souverän. Deswegen hat es sich für europäische Player auch nicht un-bedingt rentiert, in diesem Markt intensiv zu investieren. Wenn aber Souveränität keine Rolle spielt, ist das schon attraktiv.
Ändert sich das?
Knackfuß-Nikolic: Bei der Telekom sind wir der Meinung, dass in den nächsten drei Jahren der souveräne Public-Cloud-Markt um den Faktor drei wachsen wird. Das verändert die Ausgangssituation. Wir als Unternehmen haben entschieden, wirklich Geld in die Hand zu nehmen, um in eine souveräne Cloud- und Infrastrukturlösung zu investieren. Ein erstes Ergebnis: Wir haben gerade unsere Industrial AI Cloud für europäische Unternehmen vorgestellt, bei der wir gemeinsam mit Nvidia eine Milliarde Euro investieren.
Wie souverän ist dieses Angebot?
Knackfuß-Nikolic: Die Daten- und die Betriebssouveränität sind gegeben. Es ist kein vollumfänglich souveränes Angebot, weil wir auf der Technologieseite Abstriche machen müssen. Wir haben Hightech-Chips von Nvidia genommen – einem amerikanischen Hersteller. Zum aktuellen Zeitpunkt sind das die leistungsstärksten, die der Markt gerade zu bieten hat, und wir sind in enger Partnerschaft. Etwas Ähnliches gibt es zum aktuellen Zeitpunkt von keinem europäischen Anbieter.
Bei Hardware und Software wird die Souveränität aber schwieriger?
Knackfuß-Nikolic: Softwareseitig kann man auf Open-Source-Software aufsetzen. Da wird auch einiges getan. Auch wir setzen auf Open-Source-Software in unserer Cloud-Lösung. Mit der Hardware wird es deutlich schwieriger. Da zeichnen sich erste Möglichkeiten ab, die wir derzeit sehr intensiv erkunden. Aber auf dem Level, wie diese Fähigkeiten in Amerika und in Asien zur Verfügung stehen, haben wir das in Europa einfach noch nicht. Wir werden nicht vollständig aufholen können. Aber es ist gut, wenn wir an einigen punktuellen Stellen zumindest loslegen.
Wir hatten viele Technologien schon in Europa, doch irgendwie haben wir den Anschluss verloren …
Knackfuß-Nikolic: Ja und dennoch hat Deutschland weiterhin tolle Start-ups und auch weiterhin viele Unternehmen, die Mehrwert generierende Technologien entwickeln. Kuka wurde als Spezialist bei Robotik nach China verkauft. Heute würde man vielleicht zweimal drüber nachdenken. Ich sehe das auch als Chance. Wir können dankbar sein, dass wir alle beim Stichwort Souveränität nun sehr wach sind. Jedem ist klar geworden: Es ist nicht nur ein theoretisches Szenario, sondern wir müssen das Thema selbst in die Hand nehmen und jetzt investieren.
Es ist auch ein globaler Trend, sich souveräner zu entwickeln: Vor allem die USA wollen von China weniger abhängig sein. Drohen wir da auf globale Inseln zu gehen?
Knackfuß-Nikolic: Ich würde das aus zwei Richtungen sehen. Natürlich ist ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ratsam. Aber globale Synergien und globaler Handel haben uns in der Vergangenheit sehr erfolgreich gemacht. Ich hoffe, diese gesunde Mischung ist das Ziel, das Europa verfolgt. Man darf jetzt nicht der Wahrnehmung unterliegen, dass man sich in allem komplett unabhängig macht. Stattdessen ist wichtig, sich weniger abhängig machen. Unsere Kunden werden auch zukünftig mit einem Multicloud-Setup am besten bedient sein. Es wird auch immer Hyperscaler im Mix geben. Aber da, wo es um besonders sensible Daten geht, ist es anders. Da empfehlen wir, sich stärker aus der Abhängigkeit zu lösen.
Wurden ITK-Themen bisher in der deutschen Öffentlichkeit vernachlässigt?
Knackfuß-Nikolic: Ich glaube, dass die ITK-Themen in den letzten 20 Jahren in Deutschland einfach politisch niedrig aufgehängt wurden im Vergleich zu traditionellen Industriebereichen. Wir haben einige europäische und globale Player in dem Sektor, dazu zählt auch die Telekom. Man kann jetzt nur hoffen, dass sich Europa durch den Rückenwind, den es jetzt gibt, wieder besser aufstellt. Wir sehen zum Beispiel, dass der Bedarf für KI in Europa genauso stark steigt wie in den USA. Deswegen bauen wir in Deutschland für deutsche Unternehmen eine KI-Fabrik. Wir sind allerdings der Meinung, dass man erst mit der Nachfrage das Angebot erweitern sollte. Deswegen bieten wir für den Anfang erst einmal 10.000 GPUs. Gibt es dann mehr Nachfrage, lohnt es sich auch für uns, diese zu bedienen.
Stehen wir uns mit unserem sehr ausgeprägten Datenschutzdenken und der Regulierung in der EU selber im Weg?
Knackfuß-Nikolic: Darauf gibt es wieder keine Schwarz-Weiß-Antwort. Wir differenzieren uns im globalen Setup durch unsere Regulierung und dadurch, dass wir versuchen, für den Schutz unserer Bevölkerung mitzudenken. Ein EU Data und AI Act ist sehr sinnvoll. Dass wir aber an manchen Stellen die Regulierung vor der Umsetzung sehen, schadet Europa schon manchmal. Man muss ein gesundes Mittelmaß finden.Wir tendieren dazu, aus zu viel Angst Regulierung ex ante zu entwickeln, statt loszulegen und dann erst zu sehen, wo die Probleme liegen und wo nicht.
Das ist noch ein Wettbewerbsnachteil?
Knackfuß-Nikolic: Wir fördern damit nicht die Nutzung von Innovation, sondern behindern sie. Unsere Mentalität als Nutzer ist eher, ein Late Follower zu sein – und nicht der Early Adopter. Wenn man dagegen nach China schaut, springen die sofort auf jede neue Innovation auf. Auch wenn es erst eine zu 80 Prozent fertige Lösung ist. Sie geben extrem schnell Feedback, und damit sind Unternehmen wieder schneller in der Innovationsentwicklung.
Wie lässt sich das bei uns ändern?
Knackfuß-Nikolic: Wir müssen am Mindset der Bevölkerung arbeiten. Regulierung ist vielleicht nicht unbedingt immer förderlich. Aber es sollte auch keine Ausrede sein. Dabei kann sich jeder von uns an die Nase packen und zum Beispiel selber KI nutzen. Und dann dafür sorgen, dass die eigenen Mitarbeiter davor keine Angst haben, sondern es als Chance verstehen.
Wir diskutieren hierzulande oft auch im kleinsten, ob auf das nächste Haus eine 5G-Antenne kann, obwohl viele Leute in so einem Ort kein Internet haben …
Knackfuß-Nikolic: Wir als Telekom können da ein Lied singen. Wir werden immer dann sauer angerufen, wenn der Ausbau nicht schnell genug geht. Aber dass wir durch reichlich Behördenprozesse gehen müssen und es gar nicht nur unbedingt an uns liegt, dass es nicht vorangeht, sondern an den ganzen Behördenschnittstellen dazwischen, ist oft nicht sichtbar.
Eine wichtige Frage bei der digitalen Souveränität ist der Preis …
Knackfuß-Nikolic: Es ist definitiv so, dass Souveränität mit einem Preis kommt und dass souveräne Lösungen per se teurer sind. Die Hyperscaler stecken jedes Jahr 50 bis 70 Milliarden in ihre globalen Cloud-Fähigkeiten – und jetzt zusätzlich noch fünf bis zehn Milliarden für jedes Land in Europa, wo sie souveräne Lösungen anbieten
wollen. Selbst für diese Unternehmen kommen noch mal enorme Zusatzkosten. Und die müssen natürlich, auch wenn man wirtschaftlich arbeitet und nicht vom Staat unterstützt wird, zurückverdient werden.
wollen. Selbst für diese Unternehmen kommen noch mal enorme Zusatzkosten. Und die müssen natürlich, auch wenn man wirtschaftlich arbeitet und nicht vom Staat unterstützt wird, zurückverdient werden.
Wie kann man die Kunden im nächsten Schritt überzeugen?
Knackfuß-Nikolic: Man muss versuchen, den Endkunden im positiven Sinne dazu zu bringen, dass er nicht mehr nur die gewohnten Produkte benutzt, sondern auch solche Lösungen, die ein höheres Level an Souveränität bereitstellen. Kunden sollten sich die Fragen stellen: Was ist das Level an Souveränität oder Compliance, das ich für den spezifischen Workload brauche, weil es mir vom Unternehmen oder vom Rechtsstaat vorgeschrieben wird? Mit welcher Infrastrukturlösung bekomme ich unter diesen Voraussetzungen dann die beste Leistung zum niedrigsten Preis?
Welchen Bereich sehen Sie denn neben der Cloud als am besten umzusetzen?
Knackfuß-Nikolic: Ein wichtiges Umfeld ist natürlich KI. Sie hat verschiedene Souveränitätsgrade, je nachdem, welches Modell man nutzt. Da gibt es proprietäre Modelle, dann sogenannte Open-Weight-Modelle, bei denen man die Gewichtung der Faktoren, mit denen die Prognose oder die Intelligenz arbeitet, verändern kann. Und dann gibt es auch komplette Open-Source-Modelle oder mittlerweile auch Modelle, die in Europa tatsächlich entwickelt werden.
Wenn Sie den Digitalminister treffen, was wäre der größte Wunsch an die Politik?
Knackfuß-Nikolic: Also der größte Wunsch, den ich hätte, ist, wirklich die Anwendung souveräner Lösungen zu fördern. Zum Beispiel, wenn ein Unternehmen gerne von einer US-Hyperscaler-Lösung auf eine europäische Alternative wechseln will, dass es dann bei den Migrationskosten oder Steuern eine Erstattung gibt. Das Problem ist im Moment nicht, dass es keine Alternativen gibt. Aber man muss umziehen – und das kostet. Zumindest ist die Politik, soweit wir das mitbekommen, aufgeschlossen dafür. Wenn es ein Window of Opportunity gibt, Förderung vom Staat oder der EU zu erhalten und Gehör zu finden, dann ist das jetzt. Und natürlich hätte ich gerne noch die Zusage der Regierung, als Ankerkunde die souveränen Lösungen auch zu nutzen.
Wo werden wir im Jahr 2030 mit der digitalen Souveränität sein?
Knackfuß-Nikolic: Aktuell liegen 70 Prozent der europäischen Workloads auf US-Clouds, und ich würde mir wünschen, dass dieser Betrag dann deutlich kleiner geworden ist – und vielleicht nur noch bei 50 oder 40 Prozent liegt. Das wäre nicht so radikal, als würden überhaupt keine Daten mehr bei den Hyperscalern liegen. Man hätte aber eine Art Balance geschaffen.