Fachkräfte finden mit Cloud, KI und Social Media

Fachkräftemangel und Überforderung

Fachkräftemangel und sich schnell verändernde Anforderungen an Qualifikationen sind nur zwei von vielen besonderen Herausforderungen, die sich Unternehmen in ihrem Personalmanagement heute stellen. com! professional hat daher zwei Experten dazu befragt, wie Künstliche Intelligenz und Social Media das Recruiting von heute und morgen verändern: Harald R. Fortmann, Botschafter Ressort Arbeitswelt der Zukunft im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), und Lucia Falkenberg, Chief People Officer und Leiterin der Kompetenzgruppe New Work im eco - Verband der Internetwirtschaft e. V.
Harald R. Fortmann, Arbeitsmarktexperte im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW)
Quelle: Tina Demetrides
Welche Herausforderungen im Recruiting sehen Sie gegenwärtig für Unternehmen in Deutschland?
Harald R. Fortmann:
Derzeit sehe ich vielfältige Herausforderungen im Recruiting in Deutschland, gerade bei Jobprofilen mit einer digitalen Kompetenz. Zum einen besteht hier über nahezu jede Position hinweg ein akuter Fachkräftemangel aufgrund des starken Wachstums dieses Bereichs gepaart mit einem mangelnden Aufbau von Bildungsangeboten. Weiterhin sind viele HR-Manager oder Fachbereichsleiter mit den notwendigen Kompetenzen, die diese Kandidaten mitbringen sollen, überfordert. Die Fähigkeit, die fachliche Kompetenz einzuschätzen, fehlt ihnen oftmals und so werden viele Fehleinstellungen vorgenommen. Dazu kommt, dass Post & Pray - wie oft noch angewendet - nicht mehr funktioniert und die Recruiter erst einmal die Skills im Bereich Active Sourcing auf- beziehungsweise ausbauen müssen.
Lucia Falkenberg: Auf dem heutigen Arbeitsmarkt müssen sich Unternehmen um die Fachkräfte bewerben. Umso wichtiger ist es für die Unternehmen, authentisch aufzutreten und die viel­fältigen Kriterien zu berücksichtigen, die junge Talente ihrer Berufsentscheidung zugrunde legen. Bewerber bevorzugen beispielsweise Arbeitsplätze mit gestaltenden Aufgaben, neuer Arbeitskultur und modernem Führungsverständnis. Das HR-Management muss hier eine Gestalterrolle einnehmen und Treiber der digitalen Arbeitskultur sein, auch für den Ausbau der IT-Kompetenzen im Unternehmen.
Wie können cloudbasierte Dienste beim Re­cruiting helfen?
Fortmann: Na ja. Erst mal gar nicht. Allein dass der Dienst cloudbasiert ist, hilft in keiner Weise. Die Frage ist ja eher: Welche Features bringt das Recruiting-as-a-Service-Tool mit? Ist es "nur" eine Datenbank, kann es nur LinkedIn-Profile importieren oder hat es auch Attribute, um etwa Kompetenzen zu prüfen, Menschen nach Orten/Umkreisen zu finden, Verhaltenspräferenzanalysen zu führen? Es gibt viele Bereiche im Recruiting, die digitalisiert werden können - aber auch viel Unnützes oder nicht Funktionierendes am Markt. Hier ist eben auch die Qualifizierungskompetenz gefragt.
Falkenberg: Digitale Recruiting-Services helfen dabei, große Datenmengen zu analysieren, um den Personalern Routineaufgaben abzunehmen und eine Vielzahl an Lebensläufen zu sichten. So gibt die Software beispielsweise eine Übersicht über die Qualifikationen der Bewerber. Dadurch lassen sich leichter die identifizieren, die die gewünschten Qualifikationen oder Sprachkenntnisse mitbringen. Weil das Screening durch eine Maschine anonymisiert und vorurteilsfrei abläuft, erhöht das die Chancengleichheit im Bewerbungsprozess. Nach der Vorselektion durch die Software bleiben jedoch der persönliche Austausch und der unmittelbare Kontakt zum Bewerber sehr wichtig.
Lucia Falkenberg, Chief People Officer im eco-Verband der Internetwirtschaft e.V.
Quelle: eco e.V.
Wie sieht es mit der Nutzung solcher Services in Deutschland aus?
Fortmann: Es geht vorwärts - die Neugier ist sehr groß, die Enttäuschung oft umso größer. Es wird noch einige Zeit dauern, bis belastbare HR-Tech-Tools am Markt bestehen.
Falkenberg: Der Recruiting-Prozess verändert sich durch die Digitalisierung auch in Deutschland sehr schnell. Vorrangig werden sich solche Technologien etablieren, die dabei helfen, hochqualifizierte IT-Fachkräfte zu gewinnen. Unternehmen stehen hier unter einem besonderen Druck, geeignete Mitarbeiter zu gewinnen.
Wie wichtig sind soziale Netzwerke für das Recruiting?
Fortmann:
Die beruflichen Social Networks sind immens wichtig, die anderen eher vernachlässigbar. Wünschenswert wäre eine bessere Qualifizierung oder Zertifizierung der Personalberater und Recruiter, die Kandidaten ansprechen dürfen. Viele Kandidaten sind hier gefrustet. Ich habe selbst Xing einmal vorgeschlagen, hier ein Zertifikat aufzubauen, das dann den Zugang für Personalberater ermöglicht. Eine tolle Monetarisierungsquelle für Xing und eine Qualifizierung für die Personalberater, die zu einem Mehrwert beim Kunden führt - aber bislang hat sich in dieser Hinsicht noch nicht viel getan.
Falkenberg: Die direkte Ansprache über soziale Netzwerke wird die klassischen Recruiting-Kanäle immer weiter ergänzen. Unternehmen können junge Talente etwa bei Facebook direkt ansprechen, Professionals erreichen sie bei Xing und LinkedIn und profitieren zugleich von viralen Effekten. Wichtig sind ein authentischer Auftritt und eine authentische Ansprache der Bewerberzielgruppe in den sozialen Medien, denn das steigert die Glaubwürdigkeit und schafft Vertrauen.
Welche Rolle kann KI im Recruiting spielen?
Fortmann:
KI wird einen massiven Einfluss auf das Recruiting haben. Das kombiniert mit Tools wie Precire wird es Recruitern und Personalberatern wieder ermöglichen, mehr Zeit mit Kandidaten zu verbringen und eine gute, belastbare Basis für Gespräche zu haben. Einzig muss man darauf achten, dass KI einem nicht mehr nur 35-jährige sportliche, blonde Männer vorschlägt, weil man da bisher einige eingestellt hat. Diversity, Soft Skills und so weiter - diese Steuerung muss vom Recruiter kommen.
Falkenberg: Die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz im Recruiting-Prozess schätze ich als extrem vielfältig ein. Die ano­nymisierte Bewertung der Lebensläufe durch KI kann eine unvoreingenommene Einstellungspolitik fördern und zu mehr Diversity im Unternehmen führen. Algorithmen könnten außerdem dabei helfen, persönliche Eigenschaften von Kandidaten bereits am Telefon zu beurteilen, etwa Resilienz, Optimismus, Neugierde oder Einfluss.
Künstliche Intelligenz hilft außerdem bei der Auswahl geeig­neter Recruiting-Kanäle durch die automatische Analyse von Reichweiten oder durch den Einsatz von Chatbots, die Kandidaten durch das gesamte Bewerbermanagement führen.




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